Stellungnahme zum militärischen Teil des CDU/CSU+SPD Koalitionsvertages aus friedenspolitischer Sicht
http://www.tagesschau.de/multimedia/koaltionsvertrag-101.pdf
1. Situations-Verortung
Aktuell findet deutschlandweit eine erfolgreiche Sammlung von Unterschriften für den Appell 'Abrüsten statt aufrüsten' statt [https://abruesten.jetzt/]. Er verbindet die Forderung nach Abrüstung mit der Ablehnung der Pläne, Deutschlands Militäretat um weitere ca. 30 Mrd. € aufzustocken, wo-durch noch mehr Mittel im zivilen Bereich fehlen würden, so in der Bildung, im sozialen Wohnungsbau, in Krankenhäusern, im öffentlichem Nahverkehr, bei der kommunalen Infrastruktur, der Alterssicherung, dem ökologischem Umbau und Klimaschutz sowie der internationalen Hilfe zur Selbsthilfe.
Auf die internationalen Krisensituationen geht der Koalitionsvertrag in seiner Präambel mit diesen wenigen Worten ein: „Wir erleben neue politische Zeiten mit vielfältigen Herausforderungen für Deutschland – sowohl international als auch national“. Weiter unten spricht der Text im Bereich militärpolitischer Aussagen in klarerer Sprache über die globalen Bedrohungen: Es ist da von „weltweiten Krisen ... - sowohl in der Außen- und Verteidigungspolitik wie in der Entwicklungszusammenarbeit“ die Rede.
2. Manipulative Wortwahl
Der
Text ist von der manipulativen Methode der ‚Strategischen
Kommunikation‘ geprägt, die das Angenehme an den Anfang
stellt, sodass später angesprochene Absichten und Interessen der
Aufmerksamkeit vieler Bürger/innen leicht entgleiten können.
Die
Präambel wendet diese Methode mit dem Satz an: „Mit
unserem internationalen Engagement wollen wir einen größeren
Beitrag leisten, um weltweit zu besseren Lebensbedingungen
beizutragen sowie Frieden wiederherzustellen und zu sichern.“
Die Absicht wird dann Zeile 75 deutlicher: "Deutschland wird
auch künftig einen angemessenen Beitrag zum Erhalt der
Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses
und zu einer starken europäischen Verteidigung leisten."
Konkret wird hier der von der Nato vorgegebene Steigerung der
Militärausgaben auf 2% der Wirtschaftsleistung des jeweiligen
Landes keine Absage erteilt.
3. Konkreta
3.1 Offen deklarierter Zweck der Aufrüstung und das Verfassungsgebot
Die Zunahme des Militäretats kündigt sich noch konkreter weiter hinten im Abschnitt ab Zeile 6809 an: „In diesem Rahmen bleibt die Bundeswehr ... ein unverzichtbarer Bestandteil deutscher Sicherheitspolitik. Unsere Politik ... dient unseren Interessen.“ Hier verabschiedet sich der Koalitions-vertrag vom Grundgesetz, heißt es doch, die Bundeswehr diene den Interessen Deutschlands, wohingegen Art. 87a Grundgesetz den Einsatz der Bundeswehr an den Verteidigungsfall bindet: >>(1) 1Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. ... . (2) Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt.<<
Quantifizierte
Summen staatlicher Ausgaben kommen im Koalitionstext anders als im
Sondierungspapier
[https://www.tagesschau.de/inland/ergebnis-sondierungen-101.pdf , S.
16] nicht vor; allerdings sind die Prioritäten der
Haushaltsplanungen aus friedens-, sozial-, bildungs- und
umweltpolitischer Perspektive alarmierend, wie der Vertrag ab Zeile
6866 steht: „Ab 2018 bis 2021 wird die Koalition zusätzlich
entstehende Haushaltsspielräume prioritär dazu nutzen,
neben den Verteidigungsausgaben zugleich die Mittel für
Krisenprävention, humanitäre Hilfe, auswärtige Kultur-
und Bildungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit ausgehend von der
Grundlage des 51. Finanzplans angemessen zu erhöhen im
Verhältnis von eins zu eins beim Verteidigungshaushalt zu
Ausgaben im Rahmen der ODA-Quote (Krisenprävention, humanitäre
Hilfe, Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik und
Entwicklungszusammenarbeit). Diese Erhöhungen dienen der
Schließung von Fähigkeitslücken der Bundeswehr
und der Stärkung der europäischen Zusammenarbeit im
Verteidigungsbereich wie auch ... der Stärkung der zivilen
Instrumente der Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit im
Rahmen einer umfassenden gemeinsamen Friedens- und
Sicherheitspolitik.“ Hier ist die Tür zur Umsetzung der
Nato-Vorgaben in die Richtung der 2% des BiP fürs Militärische
offen. Dagegen geht die Friedensbewegung u.a. mit dem Appell
‚Abrüsten statt aufrüsten‘ vor.
Passend
heißt es ab Zeile 7008: „Deutschland wird auch künftig
einen angemessenen Beitrag zum Erhalt der Abschreckungs- und
Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses und zu einer starken
europäischen Verteidigung leisten.“ Und ab Zeile 75161
heißt es: „Wir werden neben der Sicherstellung der
nachhaltigen Finanzierung der Bundeswehr die notwendigen
Voraussetzungen schaffen zur Gewährleistung überjähriger
Planungs- und Finanzierungssicherheit für
Rüstungsinvestitionen.“
3.2 Auslandseinsätze der Bundeswehr, nach Herrn von Gutenberg ‚umgangssprachlich Krieg‘
Die
Finanzen betreffen auch Kriegseinsätze – teils
verharmlosend ‚Auslandseinsätze‘ genannt – der
Bundeswehr, die nach >Spiegel-online< vom 16.2.2016 bis vor
einem Jahr ca. 17 Mrd. € gekostet hatten. Verharmlosend spricht
der Koalitionsvertrag in diesem Zusammen von einem „Bedarf für
Einsätze bzw. einsatzgleiche Verpflichtungen“ (Zeile
7573)
Diese Formulierung öffnet die Koalitionsabsprachen in
die Richtung einer weiteren Verstärkung der Rolle der Bundeswehr
als Interventionsarmee: „Folgen des Klimawandels, Risiken von
Handels-kriegen, Rüstungswettläufen und bewaffneten
Konflikten, Instabilität im Nahen und Mittleren Osten,
Fluchtbewegungen, sowie neue aggressive Nationalismen innerhalb und
außerhalb Europas fordern uns heraus und wirken bis in unsere
Gesellschaften hinein.“
Hier wird es etwas konkreter: „Wir
brauchen eine neue Kultur der Verantwortung, die die Glaubwürdigkeit
Europas als Partner in der westlichen Welt erhöht und unsere
Position gegenüber auf-strebenden Mächten stärkt.“
Das erinnert an die dreistimmige Werbung für Einsätze der
Armee auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2015
Steinmeier/v.d.Leyen/Gauck unter dem Stichwort „Verantwortung,
zur Not auch militärisch“, an den Frau von der Leyen
letztes Jahr anknüpfte: von
der Leyen lenkte den Blick auch auf den deutschen Beitrag zur von ihr
so genannten internationalen Sicherheitspolitik (die allerdings
selbst zum Gegenteil des deklarierten Zieles führt): "Wir
Deutsche haben in den vergangenen Jahren gezeigt, dass auf uns
Verlass ist. Wir haben unser Engagement erheblich ausgebaut, bei
Weitem nicht nur, aber auch militärisch...“
[http://www.india.diplo.de/Vertretung/indien/de/__pr/Politik/MSC__Closing__2017.html]
Der Koalitionsvertrag, steht – wie oben dargelegt –
beim Thema Kriegseinsätze im Widerspruch zum Grundgesetz, wenn
er weiter festlegt: „Gleichzeitig wollen wir die Bindung an die
USA festigen. .. und europäischer werden. Wir brauchen eine
entschlossene und substanzielle Außen-, Sicherheits-,
Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik aus einem Guss.“
[Zeilen 6846 f.] Was ‚entschlossen‘ heißt, wenn es
um die sogenannte ‚Sicherheitspolitik‘ geht, wird aktuell
konkret, wenn Militärs und Regierungskreise verlautbaren, dass
in Deutschland ein neues Hauptquartier entstehen soll:
http://www.sueddeutsche.de/politik/sicherheitspolitik-bundeswehr-soll-neues-nato-hauptquartier-in-deutschland-aufbauen-1.3858907
3.3 EU-Militarisierung
Die
EU-Militarisierung ist in bereits zitierten Stellen zur europäischen
Militärpolitik in den Ab-schnitten 2 , 3.1 und 3.2 thematisiert.
Das ist deshalb hochbrisant, weil 23 Staatenim Oktober 2017 einen
neuen Militärpakt >Pesco< gründeten
[http://www.tagesbote.at/2017/11/14/vana-zu-pesco-schwarz-rot-blau-sagt-geldregen-fuer-ruestungsindustrie-zu/].
Die
Pesco-Mitgliedstaaten „haben einen Ausbau der Tätigkeit
... in diesem Bereich vereinbart und anerkannt, dass mehr
Investitionen in die Verteidigung und die Zusammenarbeit bei der
Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten eine wesentliche
Voraussetzung sind... .“
[https://eeas.europa.eu/sites/eeas/files/pesco_factsheet_16-11-2017_de.pdf]
Die EU-Militarisierung wird nicht nur teuer, sondern steigert
auch die internationalen Zerfallerscheinungen, wie man am von
Frankreich forcierten Völkerrechtsbruch im Krieg gegen Libyen
nachvollziehen kann, der die Destabilisierung Nordafrikas forciert
und den Mail-Krieg nach sich gezogen hat.
3.4 Drohnen
Die Fernsteuerung und Automatisierung der Kriegsführung begünstigt der Koalitionsvertrag beim Thema Drohnen: „Vor einer zukünftigen Beschaffung von bewaffnungsfertigen Drohnen sind die konzeptionellen Grundlagen für deren Einsatz zu schaffen. Völkerrechtswidrige Tötungen lehnen wir kategorisch ab, auch durch Drohnen.“ Zur Drohnen-Kriegs-Strategie der Nato gehört, dass sie in Staaten auch ohne Kriegserklärung einfallen und die Bevölkerung in den angegriffenen Gebieten im Verlauf gezielter Tötungen ohne Gerichtsbeschluss traumatisieren und dabei viel mehr Zivilisten zu töten, als die US-Armee anzugeben bereit ist. [http://www.tagesspiegel.de/politik/leak-zu-us-drohnenkrieg-die-meisten-toten-sind-unschuldige-zivilsten/12460084.html]
3.5 Rüstungsexport
Der
Koalitionsvertrag verbindet den Rüstungsexport mit der
EU-Orientierung: „... streben wir ... eine gemeinsame
europäische Rüstungsexportpolitik an und wollen den
gemeinsamen Standpunkt der EU fortentwickeln.“ (Zeile 7081) Man
findet im Koalitionsvertrag zugleich hoffnungsvoll restriktive Worte
zum Rüstungsexport: „Wir schärfen noch im Jahr 2018
die Rüstungsexportrichtlinien aus dem Jahr 2000 und reagieren
damit auf die veränderten Gegebenheiten...“ (Zeile
7072)
Allein nach in den zurückliegenden Jahren gebrochenen
ähnlichen Versprechungen ist hier Zweifel Ausdruck von Realismus
– Siehe dazu diese Anmerkungen von Ottfried Nassauer:
„Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel betont gewöhnlich nur
zu gerne, dass er eine restriktivere Genehmigungspolitik für
Rüstungsexporte will und praktiziert. Doch was macht der
Minister, wenn er zugeben muss, dass er im letzten Jahr weit mehr
Exporte genehmigt hat, als je irgendeiner seiner Vorgänger? Das
war am 19.Februar während einer Pressekonferenz in Berlin zu
beobachten. Sigmar Gabriel verkaufte das Allzeithoch der
Genehmigungen als Halbzeitbilanz einer erfolgreichen, restriktiven
Genehmigungspolitik, stiftete gezielt (Zahlen-)Verwirrung und rundete
seinen Vortrag mit dem Argument ab, letztlich komme es doch gar nicht
auf die Höhe der Zahlen an, sondern vor allem auf die Qualität
der genehmigten Waffenexporte und die Art der Empfänger.“
[http://das-blaettchen.de/2016/02/ruestungsexport-wie-man-einen-rekord-beichtet-35388.html]
3.6 Nuklearrüstung
In
Zeile 7048f. lesen wir: „Solange Kernwaffen als Instrument der
Abschreckung im Strategischen Konzept der NATO eine Rolle spielen,
hat Deutschland ein Interesse daran, an den strategischen ...
Planungsprozessen teilzuhaben. Erfolgreiche Abrüstungsgespräche
schaffen die Voraussetzung für einen Abzug der in Deutschland
und Europa stationierten taktischen Nuklearwaffen.“ Diese
Formulierung erinnert an die Nicht-Unterstützung des
UNO-Verbotes der Nuklearrüstung durch die Bundesregierung. Der
Friedensnobelpreisträger von 2017, die Organisation ICAN
(Internationale Kampagne zur Abschaffung der Atomwaffen) kommentiert:
„Damit handelt künftig auch die Bundesregierung mit der
nuklearen Teilhabe in der
Nato
und
der
Verfügung über US-Atomwaffen in Deutschland gegen geltendes
Völkerrecht.“
[http://www.spiegel.de/politik/ausland/uno-verabschiedet-atomwaffenverbot-a-1156583.html]
Die
Formulierung des Koalitionsvertrages eröffnet der
Bundesregierung, die Zusage zur weiteren Absenkung der Schwelle zum
Nuklearkrieg durch die geplante Stationierung neu-entwickelter
Nuklear-Systeme in Büchel aufrecht zu erhalten, über die
die Initiative Büchel atomwaffenfrei schrieb: „Die USA
planen, ihre ...neue Bombe B 61-12 soll bis 2019 entwickelt werden,
2020 sollen deren Serienproduktion und Stationierung beginnen. Die
neuen Bomben sollen eine geringere Sprengkraft haben als die meisten
heute verwendeten, aber wesentlich treffgenauer sein. Das würde
ihren militärischen Nutzen und die Einsetzbarkeit erhöhen...“
[http://www.buechel-atomwaffenfrei.de/hintergrund/fliegerhorst-und-jagdbombergeschwader/]
In
anderen Worten, die Militärs und sie unterstützende
Politiker/innen auch in der geplanten großen Koalition nehmen
den nukleare Untergang der Zivilisation bewusst in Kauf.
Es
zeigt sich, die Aktionen gegen die Nuklearrüstung in Büchel
und anderswo sind so überlebenswichtig wie auch der Appell
‚Abrüsten statt aufrüsten‘.