Globale Entwicklungen, Hochrüstung und Sozialabbau
Redaktionelle Zusammenfassung des Referates beim Friedensratschlag in Kassel am 1.12.2024 (KP)
Siehe auch Video-Mitschnitt
Zur Person: Sevim Dagdelen ist MdB – siehe eigene Website
Inhalt
Zur internationalen Lage
Dagdelen verweist zunächst auf die Situation mit der abgewählten Biden-Administration, die offenbar im Ukrainekrieg jetzt aufs Ganze gehe, unterstützt von ihren europäischen Verbündeten. Durch die Freigabe von Langstreckenwaffen an die Ukraine für Angriffsziele in Russland riskiere man nichts weniger als einen Dritten Weltkrieg. Zudem intensiviere man auch die völkerrechtswidrige Regime Change Politik, was aktuell in Georgien und Syrien erfolge.
„Alle Hoffnungen, dass sich mit dem Amtsantritt des neugewählten Präsidenten Donald Trump eine Abkehr von der bereits apokalyptisch anmutenden Eskalationspolitik ergeben würden, könnten sich als trügerisch erweisen. Donald Trump könnte gegenüber Russland den Krieg einfrieren wollen, aber zugleich auf eine weitere Eskalation im Nahen Osten und vor allen Dingen gegenüber China setzen. Fest steht nämlich bereits jetzt, dass er die Wirtschaftskrise hin zu einer Deglobalisierung eskalieren wird.“
USA: Auch mit Trump im Niedergang
Trump habe bereits drastische Zölle angekündigt: Gegenüber Mexiko und Europa mit 10 bis 20 % und gegenüber China um 40 % sowie gegenüber den BRICS-Staaten, die an einer anderen Währung als einen Dollar als Leitsystem arbeiteten, um 100 %. Ursache dieser ganzen Eskalationspolitik ist der Niedergang der USA, der aus Sicht von Dagdelen völlig irreversibel sei. Maßgebend hierfür sei gesellschaftliche Krise mit massiver Verarmung und der Vernichtung der Mittelschicht. Die USA versuchten ihren Niedergang aufzuhalten, auch indem sie die Ressourcen ihrer NATO-Verbündeten beanspruchten, die auf den Status reiner Vasallen herabgesunken seien.
Zur Krise der USA verweist Dagdelen auf Zahlen, aus denen ersichtlich sei, wohin sich auch die Verbündeten in Europa bewegen würden.
„Wenn sie so weitermachen, landen wir nämlich genau da, wo die USA gesellschaftlich in der Krise sind. Als einziges Industrieland weltweit sank die Lebenserwartung in den USA in den letzten Jahren um ganze zwei Jahre auf 76,3. Zum Vergleich: In Deutschland ist die Lebenserwartung bei 80, in Frankreich bei 82 Jahren. Die Kindersterblichkeit, in den USA – ein Vorbote der Zukunft – hat ein Rekordniveau von 5,4 auf 1000 Geburten, in Deutschland sind das 3,1 und in Russland 4,4. Ein Rekord ist auch die Kindersterblichkeit im Vergleich zu allen anderen Industrienationen. Einen anderen Weltrekord, den die USA hat, ist die Zahl der Inhaftierten in den Gefängnissen, nämlich 531 Inhaftierte auf 1 Million Einwohner. Im Vergleich dazu hat z.B. Russland 300 Inhaftierte auf 1 Million Einwohner.“
Hinzu komme der Fall des weltweiten Anteils an industrieller Produktion auf 16%, während China mittlerweile 25% erreiche. Dieses gehe einher mit einer Zunahme des extremen Reichtums bei gleichzeitiger Verarmung von ca.60 % der Bevölkerung und auch des Mittelstandes.
Die Wirtschaftskrise in Deutschland
Die europäischen Verbündeten stützten diesen Kurs der USA, obwohl sie letztlich selbst betroffen seien. So befindet sich insbesondere die deutsche Wirtschaft in einer schweren Krise, mit wirtschaftlicher Stagnation. Deutschland ist unter den Industrienationen das Schlusslicht beim Wirtschaftswachstum mit Nullwachstum. Und jetzt drohten Massenentlassungen von Arbeitern in vielen Bereichen, während beispielsweise die Profite der Rüstungsindustrien immer mehr Rekorde erringen.
Nicht nur mit dem Wirtschaftskrieg, sondern auch mit einer verfehlten Energiepolitik sei die Deindustrialisierung in Deutschland eingeleitet worden. Im Zuge der freundlichen Begleitung der US-Konfrontationspolitik im Pazifik drohe nun auch das zweite Standbein der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie zerstört zu werden, indem man sich an der US-Sanktionspolitik gegenüber China beteilige. Das würde dann nichts anderes bedeuten als eine regelrechte Kernschmelze der deutschen Industrie.
„Wir erleben also ganz klar eine Deindustrialisierung, die die gesamte Entwicklung in Deutschland nach 1870 in Frage stellt. Und das gilt auch für das deutsche Sozialstaatsmodell, das jetzt noch stärker unter Druck kommen wird. Man hat damit zu rechnen, wenn man diese Konfrontationspolitik als ein Vasall der USA weiter folgen möchte. Und das wollen sie ja zum größten Teil alle fast schon. Dann droht ein massiver Kahlschlag, weil auf der einen Seite eben man gedrängt wird aufzurüsten, auf der anderen Seite die Wirtschaftskriege zu machen, die selbstzerstörerisch wie ein Bumerang auf unsere Wirtschaft zu leiten und auf der anderen Seite eben auch noch die Ukraine-Hilfen zu erhöhen.“
Umwelt, Klima, Aufrüstung und Krieg
Richtigerweise werde immer wieder genannt, dass die Aufrüstung klimaschädlich und klimazerstörend wirke. Man solle aber einen anderen Punkt immer mehr in den Mittelpunkt stellen. Dieses sei die Entscheidung, wofür die begrenzten Ressourcen in unserem Land verbraucht würden, d.h. nicht in eine vernünftige Wirtschaftspolitik, nicht in eine vernünftige Energiepolitik, sondern in die Produktion von Rüstungsgütern. Auch das trage dazu bei, dass Deutschland immer mehr zu einem Militär- und Rüstungsstaat werde. Mittlerweile werde auch in Deutschland – ähnlich wie bereits in Frankreich und Großbritannien – nicht mehr von 2%, sondern 3% Militärausgaben als Zielsetzung gesprochen.
„Toxischer Polit-Mix“
Dagdelen spricht von einem „toxischen Polit-Mix“, der die deutsche Politik beherrsche. Auf der einen Seite stehe die Waffenhilfe an die Ukraine und die Befürwortung der Eskalation, um die eigene Niederlage in diesem Stellvertreterkrieg nicht zu akzeptieren und auf der anderen Seite die Aufrüstung von zwei auf 3 % des BIP. Hinzu kämen die Waffenlieferungen an Israel.
Die Beibehaltung und Verschärfung des Wirtschaftskrieges gegen Russland und dessen Ausdehnung gegen China sei dabei ein weiterer Punkt.
Dagdelen weist darauf hin, dass eine mögliche Taurus-Lieferung an die Ukraine als direkter Kriegseintritt Deutschlands gesehen werden müsse und dieses gegenüber den Parteien im anstehenden Bundestagswahlkampf auch so thematisiert werden müsse.
Was sind unsere Aufgaben?
Als Aufgaben der Friedensbewegung sieht Dagdelen folgende Punkte:
Man müsse gegen den Wirtschaftskrieg vorgehen, denn dieser sei ja „letztendlich ein sozialer Krieg gegen die eigene Bevölkerung“.
Die Kritik an der EU müsse man „nachschärfen“, da diese sich einfach nur in den Dienst der USA und der NATO-Eskalationspolitik stelle. Die EU habe sich inzwischen zu einer „Hilfsagentur der US-Administration“ entwickelt.
„Wer Frieden will in der Ukraine, der soll ein Putin-Knecht sein. Wer keine Waffen an die in Teilen rechtsextreme Regierung von Ministerpräsident Netanjahu in Israel liefern will, sei ein Antisemit. Und wer in Syrien die USA und den türkischen Präsidenten Erdogan sagt, dass sie islamistische Verbrecherbanden unterstützen und aufrüsten sei ein Freund Assads. Ich finde, gegen diese Kriegspropaganda muss man unerschrocken aufstehen und sie entlarven als das, was sie ist, nämlich als eine verkappte Kriegspolitik.“
Volksbefragung gegen US-Raketenstationierung!
Zum Widerstand gegen die geplante US-Raketenstationierung verweist Dagdelen auf eine relative Mehrheit von 49 % Ablehnung in ganz Deutschland und in Ostdeutschland sogar 80 %. Niedrigschwellig und für jeden Bürger völlig nachvollziehbar sei es, eine Volksbefragung einzufordern, unabhängig von den inhaltlichen Debatten.
„Ich glaube, das wird uns auch noch mal nach vorne bringen, weil ich sehe, dass es in der Bevölkerung eine Mehrheit gibt gegen diese Stationierung und all die anderen Parteien. Sie haben immer schöne Worte in ihren Wahlprogrammen, dass sie dafür sind, dass man mehr Beteiligungsrechte der Bevölkerung anruft, mehr direkte Demokratie. Und ich finde, wenn Sie das schreiben in Ihrem Programm, dann können Sie doch mal erklären, ob Sie tatsächlich auch für eine Volksbefragung sind, die eine Konsultativ ist und mit einer einfachen Mehrheit im Bundestag auch organisiert werden kann. Dafür braucht man keine Grundgesetzänderung.“
Dagdelen beruft sich dabei auf ein Gutachten, das vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages erstellt wurde. Neben der Taurus-Debatte müsse dieses ein weiterer Punkt für eine mögliche Regierungsbeteiligung nach der Bundestagswahl sein.