Israels Kriegsführung und deutsche Staatsräson

Redaktionelle Zusammenfassung des Referates von Wieland Hoban (KP)

Siehe auch Video-Mitschnitt

Zur Person: Wieland Hoban ist Vorsitzender des Vereins Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost e.V.

Genozid

Mit Bezug auf Gaza von Kriegsführung zu sprechen, sei etwas euphemistisch. Denn bei aller Brutalität eines jeden Krieges würden doch bestimmte Richtlinien und Grenzen gesetzt. Die Gewalt in Gaza und auch im Libanon sei dagegen wenig begrenzt.

Was diesen Krieg von anderen Kriegen unterscheide, sei die Vernichtungsabsicht. Denn ein Genozid, den Hoban hier ausdrücklich sieht, gehöre die teilweise oder vollständige Vernichtung eines Volkes. Dazu gehöre auch die Vernichtung von Lebensgrundlagen wie das Herbeiführen von Hungersnot.

Die Absicht eines Genozids gab es bereits unmittelbar nach dem 7. Oktober 2023 durch den damaligen Verteidigungsminister Yoav Galant, der angekündigte, in Gaza Wasser, Strom, Kraftstoff und ähnliche lebensnotwendige Mittel aus dem Alltag zu verbannen.
Und auch vor Jahren habe der israelische Historiker Ilan Pappe schon von einem „Incremental Genocide“ (d.h. schritt- oder häppchenweise) gesprochen.

Eine der eine der empörendsten Aspekte der deutschen Berichterstattung über Palästina allgemein, aber vor allem über das, was seit letztem Oktober dort geschieht, sei die kritiklose Übernahme der israelischen Propaganda.

Menschliche Schutzschilde?

Das sei vor allem der leichtfertige Begriff der menschlichen Schutzschilde, weil nämlich damit in der Praxis jede Art von Tötung gerechtfertigt werden könne, egal wie wahllos oder maßlos oder sadistisch diese erfolge. Man stelle sich dazu einfach mal vor, hierzulande würde ein Terrorverdächtiger sich in einem Wohngebäude aufhalten, das deswegen von der Polizei gesprengt würde. Genau das Prinzip gelte aber in potenziertem Maßstab für Palästina.

Dabei habe sich aber ziemlich schnell gezeigt, dass selbst das eine Lüge ist. Wenn ein Zeltlager bombardiert wird und wenn man dann Bilder sieht wie wie evakuierte Krankenhauspatienten in diesem Zeltlager noch mit Infusion am Arm bei lebendigem Leibe verbrennen, dann habe das nichts damit zu tun, was täglich von Regierungssprechern oder in der Tagesschau behauptet werde.

Deutsche Staatsräson

Inzwischen könne man keinen Ort im Gazastreifen nennen, der nicht für Gewaltexzesse und Massaker stehe. Die sogenannte Staatsräson habe sich zu so einem alltäglichen Begriff gewandelt, weshalb Hoban kurz den Hintergrund dieser Vokabel erläuterte, weil es recht aufschlussreich und beunruhigend über den Zustand der deutschen Politik und Gesellschaft sei. Dieser Begriff stammt nämlich aus vordemokratischen Jahrhunderten. Auch Machiavelli habe ihn benutzt, um darzustellen, dass die Interessen der Mächtigen als Staatsherrscher anders gelagert seien als die Interessen der Bevölkerung. Ähnlich gelagert sei es, Es ist nicht der einzige Begriff dieser Art natürlich, wenn von National Interests (oder National Security) in den USA gesprochen werde. Bemerkenswert an dem Begriff Staatsräson sei, dass er in der Öffentlichkeit eigentlich nur über die Beziehung zu Israel und dessen Unterstützung benutzt werde.

„Ich würde nicht sagen, dass Deutschland der einzige Staat ist, zu dessen Staatsräson die Unterstützung Israels gehört. Aber dass sie auf dieser Weise so deklariert wird, ist bemerkenswert. Und dass sich inzwischen Unterstützer Israels auf eine sehr wenig geschichtsbewusste und auf eine sehr unkritische Weise auf diesen Begriff berufen, dass sie dann einfach sagen Ja, aber es gehört doch zur deutschen Staatsräson, dass wir Israel unterstützen müssen als. Als mir diese Art von Argumentation zum ersten Mal begegnete, habe ich zuerst gar nicht verstanden, wie man diesen Begriff auf unkritische Weise benutzen kann. Aber tatsächlich hat sich die Verblendung so sehr verbreitet, dass dies inzwischen üblich ist. Und man sollte auch nicht meinen, dass dieses Prinzip nur etwa auf Angela Merkels Rede in der Knesset im Jahr 2008 zurückgeht.“

Traditionslinien deutscher Politik

Schon Konrad Adenauer habe in den 1950 er Jahren schon erkannt, dass der Weg zur Rehabilitation, zur moralischen und politischen Rehabilitation von Deutschland als Akteur auf der Weltbühne von dem Aufbau von guten Beziehungen zu Israel abhänge. 1952 gab es deshalb das Sogenannte Wiedergutmachungsabkommen. Und wenige Jahre später fingen die Waffenverkäufe an Israel auch an und bis zum 6-Tage-Krieg Krieg 1967 war auch Deutschland der größte Waffenlieferant an Israel. Heute ist er der zweitgrößte.

„Und Adenauer sagte selber damals, man dürfe den Einfluss der Juden nicht unterschätzen. Auch heute noch. Und diese Gleichsetzung jüdischer Menschen mit dem selbsternannten jüdischen Staat ist immer noch üblich. Ich denke, wer unsere Organisation kennt, weiß, wie vehement wir diese Gleichsetzung zurückweisen und ablehnen. Aber sie ist eine Gleichsetzung, die in der Gesellschaft auch bei Menschen, die gar nicht Israels Verbrechen unterstützen, leider weitverbreitet ist. Und dadurch wird sie auch zur allgemeinen Begründung dafür, was Deutschland im Namen seiner Staatsräson und das heißt im Namen der israelischen genozidalen Kriegsführung tut.“

Völkerrecht

Der Gerichtshof und die Klage Südafrikas in Den Haag hätten zumindest dazu geführt, dass viele Länder, die Zusammenarbeit jeder möglichen Art mit Israel pflegen, über diese Beziehung nachdenken und sich fragen, in welcher Nähe sie zu einem Staat stehen wollen, der gerade Völkermord begeht.

Im März gab es dann sogar eine Klage von Nicaragua, diesmal gegen Deutschland aufgrund von Beihilfe zum Völkermord. Einige Monate lang war die Bundesregierung davon so beunruhigt, dass die Waffenlieferungen an Israel reduziert wurden. Aber leider habe sich dieser Zustand nicht gehalten und Olaf Scholz habe sich kürzlich ausdrücklich zu weiteren Waffenlieferungen bekannt.

Auch was sich zunächst als wie ein Erfolg anfühlt, nämlich die Haftbefehle für Netanjahu und Galant müsse relativiert werden, da die mächtigen Staaten des Westens selber entscheiden könnten, ob sie sich daran halten oder nicht. Das zeigt, wie wenig Achtung unsere Herrschenden vor dem Völkerrecht, aber insgesamt von Menschenrechten haben.

Antisemitismus-Vorwürfe

Unter dem Vorwand des Antisemitismus werde versucht, die Palästina-Bewegung zu delegitimieren.

„Durch die neue Resolution des Bundestages gegen Antisemitismus, die auf der Resolution von 2019 über die BDS-Bewegung fußt, können auch diejenigen verfolgt werden, die nicht einmal aktivistisch tätig sind, sondern eigentlich nur Sympathien bekunden. Und natürlich ist es für uns als jüdische Organisation besonders abstoßend, wenn antijüdische Diskriminierung und Anfeindung auf diese Weise instrumentalisiert wird.
Es ist so zynisch, dass es einen nicht wundern muss, wenn eine rechtsextreme Partei wie die AfD sich außerordentlich über diese Resolution freut, wenn sie sich bei den Grünen bedankt.“

Das zeige, wie sehr Antisemitismus inzwischen im Dienste einer rechten, rassistischen Politik gestellt werde, die vor allem auf Verfolgung, Diskriminierung und auch Abschiebung der migrantischen, vor allem der arabisch-muslimischen Bevölkerung abziele. Natürlich sei die Abwehr dieser Repression schwierig. Man könne aber gesellschaftlich viel aktiver werden.

„Auf den Straßen, in den Büros der Politiker, in den Hörsälen der Universitäten, wo Studenten sich erheben und wo die Verwaltungen versuchen, sie wieder niederzudrücken. Die Sache Palästinas bildet einen zentralen Teil des gesamtgesellschaftlichen, antirassistischen Kampfes. Und deswegen können wir alle in unserer Gesellschaft einen Beitrag leisten und müssen wir auch im Dienste der Bekämpfung von Diskriminierung und für Menschenrechte.
Free Palestine!“