Workshop: Friedensperspektiven für Afghanistan , mit Heela Najibullah
Bundesweiter Friedensratschlag 10./11.12. in Kassel

ein Bericht von Matthias Jochheim, IPPNW

Auf Vorschlag von Hans von Sponeck, dem früheren hochrangigen UN-Diplomaten und zuletzt Vertreter des UN-Generalsekretärs im Irak, war Heela Nadjibullah als Referentin zum Friedensratschlag eingeladen, die Tochter des letzten afghanischen Präsidenten vor der Machtübernahme  zunächst der Mudjaheddin, dann der Taliban in Kabul.  Als ihr Vater in Kabul 1991 gestürzt wurde, hielt sie sich mit ihrer Mutter in Indien auf, hält aber nach wie vor vielfältige Kontakte in das Land ihrer Herkunft. – Hans von Sponeck nahm persönlich auch an unserem Workshop teil – Frau Najibullah war erkrankungsbedingt  nicht physisch präsent, konnte aber  dank funktionierender Übertragungstechnik  über Bildschirm und Mikrophon mit ihrem Vortrag und an der anschließenden Diskussion von Zürich aus teilnehmen. Sie ist postgraduierte Doktorandin zum Thema internationale Beziehungen und Friedensaufbau, mit dem Schwerpunkt  zur Lage am Hindukusch.
Ihr Redebeitrag in englisch:
https://friedensratschlag.de/2022-12-10_redebeitrag-nadjibullah-en/  ,
und deutsch, in deepl-Übersetzung:
https://friedensratschlag.de/redebeitrag-heela-nadjibullah-uebersetzung/

In der Debatte kamen die gravierenden Folgen der aktuellen westlichen Wirtschaftssanktionen gegenüber Afghanistan zur Sprache, die gerade auch zur prekären Ernährungslage für mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung  beitragen. Die Frage wurde angesprochen, wie diese Situation zu bewältigen sei, und auch, welche Rolle Afghanistans Nachbarn aktuell spielen. Die Referentin erinnerte daran, dass es die US-Regierung selber war, die im Rahmen des Doha-Verhandlungsprozess die Taliban wieder die Rückkehr an die Macht in Kabul ebneten.  Die aktuell fortgesetzte Blockierung afghanischer Devisenkonten bei westlichen Banken, mit Verweis auf die fehlende internationale Anerkennung des Taliban-Regimes, wurde als ungerechte Repressalie eingeschätzt, welche eben primär die notleidende Bevölkerung trifft.
Auf die Frage, was das deutsche Parlament  und die EU-Regierungen tun könnten, um die Situation in Afghanistan zu verbessern, antwortete die Vortragende, Afghanistan sollte zu einer Friedensplattform entwickelt werden – weg vom Kampfplatz widerstreitender globalstrategischer Interessen. Dazu sei eine inklusive afghanische Regierung erforderlich, gerade auch in der aktuellen humanitären Krise im Land. Die verschiedenen afghanischen Player mit ihren unterschiedlichen, auch widersprüchlichen Interessen sollten in Konferenzen zusammenkommen, um gemeinsame Lösungen zu finden.
Eine Chance sieht Frau Nadjibullah in Kontakten der unterschiedlichen afghanischen Fraktionen der Exil-Community, gerade auch in Deutschland mit einer relativ großen afghanischen Gemeinde. Die erbitterten Partei- und Fraktions-Kämpfe ebenso wie die ethnischen Spaltungen haben bei der jüngeren Generation in Europa viel von ihrer Unversöhnlichkeit verloren, sie selber etwa habe Gesprächskontakt zum Sohn eines Mudjahed.  Der Begriff „Dschihad“ sollte wieder in seiner ursprünglichen Bedeutung verstanden werden, als „Kampf, ich selbst zu sein“.
Auf die Frage, wie Afghaninnen und Afghanen etwa in Deutschland ohne externe Hilfe zusammenkommen können, berichtete Frau Nadjibullah von ihren Kontakten zu Gruppen etwa in Düsseldorf und Bonn.
Die Frage wurde gestellt, wie auch Taliban-Parteigänger für solche Kontakte gewonnen werden könnten – die Einschätzung war, dass auch deren Sympathisanten  durchaus in Europa präsent seien.

Resümee: Friedensorganisationen und  –Aktive sollten, neben der wichtigen Bilanzierung der NATO-Militärintervention, und der Unterstützung der Forderung nach lebensrettender Hilfe für die notleidende Bevölkerung am Hindukusch,  auch nach Wegen suchen, die Menschen der afghanischen Migration hier in Deutschland bei dem Prozess der Versöhnung und Verständigung der unterschiedlichen Fraktionen zu unterstützen.