Abkehr vom Feindbild Russland – für eine neue Entspannungspolitik!
IPPNW-Ärztinnen und -Ärzte veröffentlichen Resolution:
„Abkehr vom Feindbild Russland – für eine neue Entspannungspolitik!“
Der Kernpunkt aller Rechtfertigungen für die geforderte „Kriegstüchtigkeit“ – Blockierung der Beendigung des Ukrainekrieges, Mega-Rüstung unter Erdrosselung von eigener Industrie und Sozialstaat sowie Aufblähung der Bundeswehr sowie Aufstellung von erstschlagstauglichen US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland 2026 – ist die Einpflanzung der Bedrohung durch Russland in unsere Herzen und Hirne. Russland werde „uns“ (die NATO) bis spätestens 2029 angreifen – vielleicht sei 2025 sogar schon der letzte Friedenssommer gewesen (Sönke Neitzel, Universität Potsdam). Wer dem widerspricht, wird medial in Verdacht gebracht, ein „Putin-Freund“ zu sein – oder doch zumindest „die Geschäfte Putins“ zu betreiben.
Dem gegenüber steht eine trotz vieler gegenteiliger Umfrageergebnisse als minoritär, ja isoliert dargestellte Friedensbewegung, die sich weitgehend in eine Verteidigungshaltung gegen solche Diffamierungen gedrängt sieht.
Dem wollen wir nun einen positiven Zukunftsentwurf entgegenstellen:
Für eine neue Entspannungspolitik!
Und die Abkehr vom Feindbild Russland, die hierfür notwendig ist, knapp und sachlich begründen: Nicht mit pazifistischer Utopie, sondern indem wir der Stimmungsmache ein paar elementare Fakten und realistische Vorschläge entgegensetzen.
Diese Resolution erscheint relativ kurz nach Veröffentlichung des sog. „28-Punkte-Plans“, mit dem erstmals seit über drei Jahren Krieg (und Hunderttausenden von Toten und Verstümmelten) ein Lösungsvorschlag auf dem Tisch liegt, der für die beiden Großmächte hinter dem Konflikt eine realistische Verhandlungsgrundlage sein könnte. Unsere Resolution bezieht sich jedoch bewusst nicht auf diesen Plan (auch wenn sie überraschende Parallelen zu einigen seiner Inhalte aufweist). Denn sie hat eine weiter reichende Intention:
Sie zielt auf das dem Krieg und dem (selbst-)zerstörerischen Rüstungsfieber zugrunde liegen¬de Problem in den Köpfen, das Feindbild Russland, die Russophobie. Diese wird durch eine toxische Mischung aus komplizierter Realität, selektierten Fakten, Halbwahrheiten und Verdrehungen geschürt und hat inzwischen pathologische Züge einer kollektiven Angstpsychose angenommen.
40 Jahre nach dem Friedensnobelpreis für die berufsbezogene Friedensorganisation IPPNW (International Physicians for the Prevention of Nuclear War) sehen wir uns als friedenspolitischer Arbeitskreis ihrer deutschen Sektion daher verpflichtet, diese schwere und gefährliche psychische Störung beim Namen zu nennen, mittels Fakten gegen das Fieber anzugehen und Bundesregierung sowie Gesellschaft dazu aufzurufen, zur Besinnung zu kommen.
Berlin, 04.12.25
Für den IPPNW-AK „Süd-Nord“ (friedenspolitischer Arbeitskreis von IPPNW-Deutschland):
Christoph Krämer
E-Mail: kraemer.ak-sn[at]ippnw.de
Resolution des IPPNW-AK „Süd-Nord“:Abkehr vom Feindbild Russland – für eine neue EntspannungspolitikAls friedenspolitischer Arbeitskreis der Deutschen Sektion der Internationalen Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) fordern wir von der Bundesregierung eine neue Entspannungspolitik sowie die Förderung auch zivilgesellschaftlicher Aktivitäten zur Völkerverständigung mit Russland. Und appellieren an die ganze Gesellschaft: Um einen Weg heraus aus der Eskalationsspirale und zur Beendigung des Ukrainekrieges zu eröffnen, greift es zu kurz, im Chor mit Regierung und Medien immer wieder einseitig nur den russischen Einmarsch in die Ukraine von 2022 anzuklagen, den auch wir als Bruch des Völkerrechts sehen. Vielmehr wenden wir uns klar gegen jede Form von Völkerrechtsbruch! In Wahrnehmung der historischen Mission der IPPNW, der Verhütung des Atomkriegs, und der Kernziele des Leitbilds unserer deutschen Sektion, fordern wir daher:
Das beschriebene Umdenken wird nicht nur die Bedrohung der Welt durch Krieg, Atomkrieg und Völkermord eindämmen, das Klima schützen und Millionen von Menschen vor Flucht und Vertreibung bewahren. Sondern es wird auch unserem eigenen Land ganz direkten Gewinn bringen: Denn der Wegfall der ruinösen Hochrüstung für 5% des BIP, die Mittel in der Höhe von fast 50% des Bundeshaushalts verschlingt und dazu Berge von Zinsen, die für BlackRock & Co. bestimmt sind, wird Geld für Schulen, Universitäten, Krankenhäuser, Eisenbahn und Klimarettung freisetzen, die unser Land so dringend braucht. |
Ein ernsthafter Ansatz zur Beendigung des Ukrainekrieges erfordert zuallererst eine Umkehr des Denkens:
Zum einen die Erkenntnis, dass Kriege fast immer am Verhandlungstisch enden.
Sowie die Bereitschaft, unsere eigene, westliche Rolle bei der Herbeiführung des Konflikts zu sehen: Indem wir die Verletzung der russischen Sicherheitsinteressen durch die wortbrüchig seit Jahren vorangetriebene NATO-Ostexpansion erkennen. Und vor allem, indem wir diesen Kurs jetzt korrigieren, indem die NATO und ihre führenden Mitgliedsstaaten incl. Deutschlands, die Aufnahme der Ukraine in die NATO endlich ausschließen, und zwar dauerhaft.
Die Idee, mittels des Putsches von 2014 die westliche Hegemonie auf die Ukraine auszudehnen und die Krim als Standort der russischen Schwarzmeerflotte dem NATO-Territorium einzuverleiben – mit dem Ergebnis, die Ukraine in einen Pro-EU-/NATO-Teil und einen pro-russischen Teil zu spalten – hat sich als katastrophaler Fehler erwiesen.
Hinzu kam der Bruch des Minsk-II-Abkommens durch Präsident Selenskyjs Dekret Nr. 117 von 2021 zur Rückeroberung von Krim und Donbas – was der Westen tolerierte, ja förderte.
Sowie die vertane Chance von Istanbul gleich zu Beginn des Krieges, ihn mit einem Kompromissfrieden zu beenden – dem die NATO bei ihrem Brüsseler Gipfel im März 2022 eine Absage erteilte – bekräftigt durch die Entsendung von Boris Johnson nach Kiew, um Selenskyj von der Unterzeichnung abzuhalten.
Die Wiederherstellung des zerstörten Vertrauens in westliche Zusagen erfordert nun ein Aufgreifen der positiven Signale aus den USA durch ein klares Verständigungsangebot an Russland auch seitens des europäischen Teils der NATO einschließlich Deutschlands.
Und die Abkehr vom Kurs der „Kriegstüchtigkeit“, also der horrenden Vergrößerung der bereits bestehenden konventionellen NATO-Überlegenheit (siehe Greenpeace-Studie 2024) –
der mit der Steigerung der Rüstungsausgaben von 2% auf 5% des BIP verfolgt wird sowie
mit der Aufstellung von US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland, die Angriffs- und Erstschlagswaffen sind und Moskau fast keine Vorwarnzeit mehr lassen.
Die Begründung dieser Eskalationsstrategie in hiesigen Medien und Talkshows – Russland plane bis 2029 einen Angriff gegen die NATO – widerspricht allen Fakten:
- Jenseits propagandistischer Phrasen ist kein Interesse Russlands an einem solchen Angriff erkennbar. Sämtliche US-Geheimdienste haben 2024 und 2025 derartige Pläne verneint.
- Zudem ist Russland militärisch nicht annähernd in der Lage, einen Krieg gegen die NATO zu führen. Laut SIPRI-Daten und der darauf basierenden Greenpeace-Studie von 2024 ist Russland konventionell selbst dem europäischen Teil der NATO weit unterlegen.
Beide Fehler – NATO-Ostexpansion samt der immer noch unkorrigierten Parole, der Weg der Ukraine in die NATO sei „unumkehrbar“ (Rutte) sowie die neue NATO-Massivrüstung – befeuern die in Russland zunehmende Befürchtung, westeuropäische Mächte würden – wie schon mehrfach in der Geschichte – erneut einen Angriffskrieg gegen Russland planen.
Hinzu kommt der westliche Völkerrechts-Nihilismus, der sich seit 1999 in den westlichen Angriffskriegen gegen Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Libyen und Syrien manifestiert. Sowie die Kündigung zentraler Rüstungskontrollabkommen und die Missachtung von Verträgen durch die USA. In Russland wird bereits diskutiert, ob die USA überhaupt vertragsfähig sind.
Aktuelle Beispiele für die Doppelmoral des Westens sind das genozidale Vorgehen in Palästina, der völkerrechtswidrige Angriffskrieg gegen den Iran und die fortgesetzte Unterstützung der rechtsextremen israelischen Regierung mit Geld und Waffen durch die USA und Deutschland. Seine „Drecksarbeit“-Äußerung im deutschen Fernsehen zu Netanjahus Vorgehen offenbart die Geringschätzung des Bundeskanzlers für das Völkerrecht.
Russland zur Einhaltung des Völkerrechts zu bewegen, erfordert die Rückkehr zum Völkerrecht auch durch den Westen – anstatt es durch dessen sogenannte „regelbasierte Ordnung“ zu ersetzen.
Der historische Fehler liegt nicht in der alten Entspannungs- und Verständigungspolitik, die bekanntlich zur Überwindung des Kalten Krieges und der Blockkonfrontation führte. Sondern in der Abkehr davon zugunsten westlichen Vormacht- und Expansionsstrebens wie der NATO-Ostexpansion, das ein Grundprinzip der Charta von Paris ignoriert:
„Sicherheit ist unteilbar, und die Sicherheit jedes Teilnehmerstaates ist untrennbar mit der aller anderen verbunden.“
Daher:
Abkehr vom Feindbild Russland – für eine neue Entspannungspolitik!
