Krisen, Krieg, Frieden … und die Gewerkschaften
Redaktionelle Zusammenfassung des Referates von Prof. Dr. Hans-Jürgen Urban am 1.12.2024 beim bundesweiten Friedensratschlag (KP).
siehe auch: Video-Mitschnitt | Auszug aus Interview durch die HNA am 29.11.24
Zur Person: Hans-Jürgen Uran ist seit 2007 geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall und dort für Sozialpolitik, Gesundheitsschutz und Arbeitsgestaltung zuständig. Seit Juni 2023 ist er an der Universität Jena Honorarprofessor für Soziologie.
Urban beleuchtete zunächst den welthistorischen Kontext mit seiner Eingangsthese:
„Wir leben in einer historischen Epoche, die durch Konflikte unter den „großen Mächten“ der globalen Ordnung um die Neuaufteilung der wirtschaftlichen, politischen und ideologischen Einflusssphären geprägt ist.“
Dazu verwies er auf die Relationen der globalen Militärausgaben in 2023 (gemäß SIPRI). Die USA haben daran einen Anteil von 37%, China 12% und Russland 4,5%.
Hierzulande werde seit der von Olaf Scholz am 27.2.2022 proklamierten Zeitenwende eine intensive Militarisierung betrieben, die man an Zitaten führender Politiker festmachen könne, wobei er beispielhaft aufführte:
Olaf Scholz am 27.2.2022:
„Wir erleben eine Zeitenwende. […] Klar ist: Wir müssen deutlich mehr in die Sicherheit unseres Landes investieren, um auf diese Weise unsere Freiheit und unsere Demokratie zu schützen. Das ist eine große nationale Kraftanstrengung. Das Ziel ist eine leistungsfähige, hochmoderne, fortschrittliche Bundeswehr, die uns zuverlässig schützt.“
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius in „Berlin direkt“ vom 29.10.2023:
„Wir müssen kriegstüchtig werden. Wir müssen wehrhaft sein. Und die Bundeswehr und die Gesellschaft dafür aufstellen“
Vizekanzler Robert Habeck, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 29.10.2023:
„Wenn wir die Zeitenwende ernst nehmen, muss Deutschland für seine Sicherheit mehr tun. Dafür werden wir für die Bundeswehr viel Geld brauchen.“
Ex-Bundes-Vize-Kanzler Joschka Fischer in „FAZ“ vom 07.03.2024:
„Für Europa werden aufgrund der vergangenen zwei Jahre in Zukunft nicht mehr der gemeinsame Markt und Wohlstandsgewinne im Zentrum stehen, sondern die Sicherheit.“
Ausführlich ging Urban auf die Entwicklung der Militärausgaben ein mit Bezug aus das von der NATO vorgegebene 2%-Ziel, das bereits jetzt in 2024 und 2025 erreicht werde, wenn man das 100 Milliarden-„Sondervermögen“ mit einbeziehe.
(Ein Teilnehmer der Veranstaltung monierte anschließend in der kurzen Diskussionsrunde mit Urban, dass die Bezugnahme auf das BIP wenig anschaulich sei – man solle besser davon reden, dass 25% des Bundeshaushaltes in die Militärausgaben fließe.)
Der Wahlsieg Trumps in den USA könne künftig als „Rüstungs-Booster“ in (EU-)Europa“ missbraucht werden. Vor allem würden sich in der jüngsten Zeit diejenigen Stimmen mehreren, die sogar einen Verdoppelung dieser Ausgaben anvisierten. Beispielsweise mit dem Verweis darauf, dass vermeintliche Defizite der Militärausgaben in früheren Jahren durch aktuell erhöhte Ausgaben ausgeglichen werden müssten.
Zu den Militarisierungs-Erzählungen gehöre, dass nicht die von ihm anfangs genannten Machtkonflikte im globalen System, sondern Russland als einziger Aggressor dargestellt werde. Hinzu komme China als neuer „System-Konkurrent“.
Der neue Rüstungs- und Militarisierungs-Imperativ durchdringe die Gesellschaft, Medien und die Parteien. Durch die Vorfahrt der Rüstungsausgaben im Bundeshaushalt gelte auch: „Militarisierung schlägt Transformation“.
Urban zitierte aus einer Greenpeace-Studie unter dem Titel „Wann ist genug genug“ vom November 2024:
„Die Analyse der militärischen Kapazitäten der Nato und Russlands lässt keinen Zweifel an der allgemeinen militärischen Überlegenheit der Nato. Nur bei den Atomwaffen herrscht Parität zwischen beiden Seiten. Die Notwendigkeit, in Deutschland die Militärausgaben weiter und dauerhaft zu erhöhen und dabei – in logischer Konsequenz – andere essenzielle Bereiche wie Soziales, Bildung oder ökologische Transformation nicht ausreichend zu finanzieren, lässt sich daraus nicht ableiten.
Statt weiter aufzurüsten, sollte die bestehende konventionelle Überlegenheit der Nato (…) zum Anlass genommen werden, rüstungskontrollpolitische Initiativen vorzubereiten und anzustoßen, die neues Vertrauen schaffen und eine Verifikation der jeweiligen militärischen Potenziale zumindest in Europa erlauben.“
An unterschlagenen Fakten listete er auf:
> Im globalen Kampf um die „neue Machtordnung“ agiert auch „der Westen“ mit einer „verdeckten Agenda“ und imperialen Interessen
> Sicherheit in der neuen globalen Ordnung erfordert (weit!) mehr als militärische Überlegenheit
> Die wirkliche Herausforderung in den „aggressiven Weltverhältnissen“ ist die Friedenstüchtigkeit!
> Nicht militärische Konflikte/Kriege, sondern Verhandlungen/Diplomatie müssen „Goldstandard“ bei der Austragung/Lösung von Konflikten werden
> Globale Gefährdung durch ökologische Krise ist nicht geringer als die militärische Bedrohung
Ausdrücklich betonte Urban seine Unterstützung des Berliner Appells gegen neue Mittelstreckenraketen.
Die friedenspolitischen Beschlüsse der IG Metall fasste Urban wie folgt zusammen:
> Rüstungsexporte restriktiv/transparent handhaben; Rüstungskontrollen effektivieren
> Ächtung atomarer, chemischer und biologischer Waffen!
> Ukraine: vertrauensbildende Maßnahmen/glaubhafte und wirksame Sicherheitsgarantien für die Ukraine, aber: gegen Fixierung auf Waffenlieferungen und Denken in den Kategorien „Sieg“ oder „Niederlage“; Schwerpunkt auf diplomatische Lösungen legen
> Initiativantrag zur Krise im Nahen Osten: Verurteilung des Anschlags von Hamas – Israel mit Recht zur Selbstverteidigung – im Rahmen des humanitären Völkerrechts; Unterstützung für Bemühungen, die humanitäre Versorgung und Waffenstillstand in der Region erreichen wollen; gegen jede Form von Rassismus und Antisemitismus!
> Prüfaufträge u.a.: Sichtbarkeit als friedenspolitischer Akteur erhöhen, friedenspolitische Debatte führen
Abschließend formulierte Urban folgende Thesen unter der Überschrift: „Zeitenwende – in die richtige Richtung!“:
1. Die kapitalistischen Demokratien sollten ihre militärische Überlegenheit und das „größere Friedenspotenzial“ nutzen, um neue Abrüstungs-Initiativen zu starten
2. Reaktivierung/Neuformulierung verbindlicher Abrüstungsabkommen und „reziproker Moratorien“
3. Mittelfristiges Ziel: Zivile Konfliktregulierung durch ein neues Völkerrecht mit Sanktionsregeln und Überwachungen (neue „Sicherheits-Architektur“)
4. Kampf gegen Militarisierung der westlichen Gesellschaften
5. Öffentliche und parlamentarische Debatte über Entscheidungen, Ziele und Risiken von militärischen (Stationierungs-)Entscheidungen
6. Kampf gegen globale soziale und ökologische Ungleichheiten – Kampagne für sozial und ökologisch nachhaltige Demokratie(n)