Innere Militarisierung und Repression
Redaktionelle Zusammenfassung des Referates beim Friedensratschlag in Kassel am 30.11.2024 (KP)
Siehe dazu auch Video-Mitschnitt
Zur Person: Rolf Gössner, Jurist und Publizist – Weitere Infos auf eigener Homepage
Zu einem der inhaltlichen Schwerpunkte erschien auch ein Beitrag in Ossietzky Nr. 17/2024: Militarisierung des Bildungssektors
Inhalt
Einleitung
Rolf Gössner ging zunächst ein auf die mittlerweile kaum noch vorstellbare Militarisierung von Politik, Staat und Gesellschaft. Durch die massive Aufrüstung und neue US-/NATO-Hauptquartiere wie in Wiesbaden und Rostock werde Deutschland mehr und mehr zur militärischen Drehscheibe der NATO in Europa aufgerüstet mit dem starren Blick gen Osten.
„Parallel dazu erfasst die innere Militarisierung zunehmend rein zivile, staatliche und gesellschaftliche Bereiche. So in Wissenschaft, Bildung, Forschung und nicht zu vergessen die ideologisch politischen und medialen Begleitmanöver. Praktisch ein Kampf um die Köpfe der Bevölkerung, die sich ja noch überwiegend skeptisch bis abweisend zeigt, allerdings mit rückläufiger Tendenz. Nun wird ab 2025 parallel zur Wiedereinführung von Wehrverfassung, Wehrüberwachung und neuem Wehrdienst auch noch ein jährlicher Veteranentag gefeiert. Denn so steht es in den Verteidigungspolitischen Richtlinien des Bundesverteidigungsministeriums (2023). „Die Bundeswehr einschließlich der Reserve gehört in die Mitte der Gesellschaft.“
Dazu passe die Forderung von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, die Bundeswehr und das ganze Land kriegstüchtig zu machen, was sehr viel mehr bedeute als grundrechtskonforme Verteidigungsfähigkeit. Dabei sei doch die Bundeswehr trotz aller Mängel bereits heute eine der stärksten Streitkräfte in Europa und innerhalb der NATO. Soeben sei der „Operationsplan Deutschland“ bekannt geworden, ein über 1000-seitiges Geheimpapier der Bundeswehr, in dem eine groß angelegte sicherheitspolitische Neuausrichtung gefordert wird. Darin heißt es:
„Deutschland und seine Bevölkerung müssen wehrhafte und resilienter werden, um gegen Bedrohungen und Aggressoren gewappnet zu sein. Diese Herausforderungen können nicht rein militärisch, sie müssen gesamtstaatlich und gesamtgesellschaftlich gemeistert werden.“
Militarisierung im Inneren
Schon im Zuge der Anti-Terror-Politik nach dem 11.9.2001 habe es einen enormen Strukturwandel des Sicherheitssystems der Bundesrepublik gegeben. Im Mittelpunkt stehe dabei der Bundeswehreinsatz im Inland mit erheblichem Ausweitungspotenzial und dies unter Missachtung jener wichtigen Lehre aus der deutschen Geschichte, wonach außer Polizei und Geheimdiensten auch Polizei und Militär, ihre Aufgaben und Befugnisse strikt zu trennen seien.
Selbst in Friedenszeiten, also ohne militärischen Angriff von außen, solle die Bundeswehr im Inneren des Landes flexibler eingesetzt werden. So sieht es schon das Weißbuch 2016 des Verteidigungsministeriums vor. Danach sollen die zivil-militärische Verteidigung und damit der sogenannte Heimatschutz weiter intensiviert werden.
Dieses gelte dann nicht nur im bereits zulässigen Fall von Katastrophen und schweren Unglücken sowie im Spannungs- und Notstandsfall nach den umstrittenen Notstandsgesetzen, sondern auch als eine Art nationale Sicherheitsreserve im Inland. Die Bundeswehr werde damit quasi eine Art Hilfspolizei, teils aber mit eigenen hoheitlichen Zwangsbefugnissen und militärischen Mitteln im Inland.
Dafür erfolgten längst gemeinsame Übungen von Bundeswehr und Polizei, z.B. auf Europas größtem, urbanen Kampfübungsplatz „Schnöggersburg“ in Sachsen-Anhalt. Soldaten seien aber keine Hilfspolizisten, da nicht für polizeiliche Aufgaben nach dem Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit, sondern zum Kriegführen ausgebildet und mit Kriegswaffen ausgerüstet. Und sie seien auch nicht dafür da, personelle Defizite bei der Polizei auszugleichen.
Ebenso sei es keine Aufgabe von Soldaten, im privatisierten, krankgesparten und profitorientierten Gesundheits- und Pflegewesen, in Gesundheitsämtern oder Impfzentren Personaldefizite zu kompensieren, wie das etwa während der Coronakrise fast widerspruchslos erfolgt sei. Damals hatte übrigens das Militär sogar die Leitung des Corona-Krisenstabs inne.
Das seien Beispiele für einen radikalen Umbau des Rechtsstaates: Dabei würden die Grenzen zwischen innerer Sicherheit und Außenpolitik, zwischen Verteidigung und Intervention, zwischen Militär und Polizei mehr und mehr verwischt sowie das Instrumentarium des Ausnahmezustandes geschärft.
Auch die 2023 beschlossene Nationale Sicherheitsstrategie mit ihrem Konzept der integrierten Sicherheit weise genau in diese Richtung.
Waffenlieferungen an Israel
Seit Oktober 2023 haben sich die Waffenlieferungen an den Staat Israel und dessen überwiegend rechtsextreme Regierung auf 326 Millionen Euro verzehnfacht. In diesem Zusammenhang erhärte sich der dringende Verdacht, dass Ampelregierung und Bundesrepublik völkerrechtswidrig Beihilfe zu Kriegsverbrechen des israelischen Militärs in Gaza und im Libanon leistet.
Gössner erwähnte dabei auch die IstGH-Haftbefehle gegen Netanjahu und Galant wegen des dringenden Verdachts auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
„Damit wird auch die Bundesregierung stark mitbelastet wegen mittelbarer, unterstützender Beteiligung an diesen Kriegsverbrechen in Gaza und Libanon – militärisch, finanziell und politisch. Wegen Beihilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen rechtswidrigen Taten Hilfe leistet. Jetzt sind sowohl der Generalbundesanwalt als auch der IStGH in Den Haag gefordert, die deutschen Unterstützungshandlungen gemäß Völkerstrafrecht und Völkermordkonvention zu bewerten und gegebenenfalls zu ahnden. [….] Auch das ist eine ganz entscheidende Lehre aus der deutschen Geschichte. Egal um welchen Staat und Akteure es sich dabei handelt. Deshalb sofortige Einstellung deutscher Rüstungs- und Waffenlieferungen an Israel, um Deutschlands Beihilfe zu Völkerrechtsverbrechen durch Israels Regierung und Militär endlich zu stoppen. Ansonsten hält die deutsche Politik doch so viel auf ihre eigenen Werte und versucht die ganze Welt damit zu belehren.“
Militarisierung ziviler Einrichtungen
Die Militarisierung ziviler Einrichtungen könne man insbesondere am Beispiel des Bildungs-, Wissenschafts- und Forschungsbereiches festmachen.
Den Anfang in diese Richtung machte Bayern mit dem sogenannten Bundeswehrförderungsgesetz, das der Bayerische Landtag Mitte diesen Jahres mit den Stimmen von CSU, Freien Wählern und SPD verabschiedet habe. Mit diesem Gesetz werden die bayerischen Schulen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen dazu angehalten, enger mit der Bundeswehr zu kooperieren.
Neben einem prinzipiell verordneten Kooperationsgebot wird fallweise im Interesse der nationalen Sicherheit ausdrücklich eine Kooperationspflicht der Schulen und Hochschulen vorgeschrieben. Mit dem Gesetz solle „eine reibungslose Zusammenarbeit und ein ungehinderter Zugang der Bundeswehr zu Forschung und Entwicklung an Hochschulen sichergestellt werden“. Weiter heißt es:
„Erzielte Forschungsergebnisse dürfen auch für militärische Zwecke der Bundesrepublik Deutschland oder der NATO-Bündnispartner genutzt werden. Und: Eine Beschränkung der Forschung auf rein zivile Nutzung, wie sie sogenannte Zivilklauseln regeln, ist unzulässig – und damit also gesetzlich verboten.“
Die Begründung: Zivilklauseln seien angesichts der bestehenden sicherheitspolitischen Herausforderungen nicht hinnehmbar. Zu den Schulen: Alle staatlichen Schulen sollen im Rahmen der politischen Bildung und zu Fragen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik enger mit Jugendoffizieren und Karriereberatern der Bundeswehr zusammenarbeiten. Übrigens auch zur beruflichen Orientierung über Berufs- und Einsatzmöglichkeiten bei Polizei und Bundeswehr.
Das dürfte die Gewissensfreiheit der Schüler und Schülerinnen beeinträchtigen, wenn sie auf diese Weise einseitig von militärischen Interessenvertretern beeinflusst werden können. Abgesehen davon sei diese gesetzlich verordnete Einwirkung der Bundeswehr auf Schulen unvereinbar mit einer Erziehung zu Frieden, gewaltfreier Konfliktlösung und Völkerverständigung.
„Und sie befördert neben der damit verbundenen mentalen Militarisierung womöglich noch einen weiteren, sehr bedenklichen Trend. Denn die Bundeswehr hat in den letzten fünf Jahren bundesweit fast 8000 Minderjährige rekrutiert und an Waffen ausgebildet. Mit Einverständnis der Erziehungsberechtigten, das ja nötig ist. Allein 2003 waren es knapp 2000. Ein Rekordwert. Und in Bayern sind fast 14 % der Rekrutierten derartige Kindersoldaten. Und dies, obwohl der UN, der UN Kinderrechts-Ausschuss ein Rekrutierungsalter von über 18 Jahren, also Volljährigkeit, fordert, um die Rekrutierung von Kindersoldaten auszuschließen. Doch eine Umkehr ist hierzulande nicht in Sicht. Im Gegenteil. Und so werden wohl auch weiterhin Minderjährige, die sich durch Technik und Waffen, durch klare Ordnung, Kameradschaft und Abenteuertum anfixen lassen, frühzeitig kriegstüchtig gemacht.“
Längst gebe es Pläne des Bundesbildungsministeriums, das Militär bundesweit in Schulen noch intensiver als bisher informieren und werben zu lassen, um wiederum „ein unverkrampftes Verhältnis zur Bundeswehr zu entwickeln und Schüler auf den Kriegsfall vorzubereiten“. So wörtlich in einem aktuellen Positionspapier des Ministeriums.
Bayern bildet mit seinem Bundeswehrförderungsgesetz also die Vorhut und bald wird sich zeigen, welche Bundesländer diesem schlechten Beispiel folgen werden. Doch abgesehen davon Angesichts der inneren Militarisierung und der damit verbundenen Gefahren für die Gesellschaft ist es so wichtig, dass sich hiergegen organisierter Widerspruch vonseiten einer breiten Allianz aus Gewerkschaften und Friedensbewegung regt. Dieses geschieht mit der Vorbereitung einer Popularklage gegen das Militärfördergesetz, die große Zustimmung erfährt und Mitte Dezember beim Bayerischen Verfassungsgericht eingereicht werde.
Gössner selbst gehöre zu den bislang weit über 100 Klägern und Klägerinnen. Und mit hoher Wahrscheinlichkeit dürfte dieses Gesetz unverhältnismäßig und verfassungswidrig in Wissenschafts-, Lehr- und Forschungsfreiheit sowie in die Autonomie bayerischer Hochschulen eingreifen. Und es dürfte gegen Indoktrinierungsverbot und Gewissensfreiheit in Schulen verstoßen.
Öffentliche Daseinsvorsorge
Ein Bereich, der bei all dem unter die Räder zu kommen drohe, sei das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes, also Art. 20 Absatz 1, denn Aufrüstung gehe zu Lasten öffentlicher Daseinsvorsorge, z.B. Bildung, Gesundheit und Integration. Das sei nicht nur ein Kollateralschaden der inneren Militarisierung.
Soziale Sicherheit und sozialer Frieden würden über das bisher bedenkliche Maß hinaus aufs Spiel gesetzt und die ohnehin fortschreitende soziale Ungleichheit und Armutsentwicklung noch weiter zu befördert. Dazu habe vor einigen Monaten der Europarat die soziale Situation in der Bundesrepublik scharf kritisiert und festgestellt, dass das hohe Maß an Armut und sozialer Benachteiligung in keinem Verhältnis zum Reichtum des Landes stehe.
Für eine positive Wendung bräuchten wir eine neue, innovative Sozial-, Bildungs-, Gesundheits- und Integrationspolitik sowie intensives zivilgesellschaftliches Engagement. Auch dem grassierenden Rechtspopulismus und rechtsautoritären Heilslehren könnte damit womöglich der Nährboden entzogen werden.