Eingangsreferat von Anne Rieger
Aktuelle Situation und Aufgaben der Friedensbewegung
Eingangsreferat von Anne Rieger zum 28. Bundesweiten Friedensratschlag am 4.12.2021
Referat von Anne Rieger/Gunhild Berdal beim 28. Friedensratschlag 4.12.21
Letzte Woche waren die Chefs der Europäischen Union und der NATO erstmals gemeinsam unterwegs an der Grenze zwischen der EU und Russland. Frau von der Leyen und Herr Stoltenberg rückten vor wenigen Tagen in Litauen und Lettland an. Leider nicht, um nachbarschaftliche Grüße auszusenden, sondern im Gegenteil, um gegen Russland zu hetzen. Mit den Worten „unsere Gegner scheuen nicht davor zurück, hybride Angriffe gegen uns zu führen“ wollen sie künftig noch enger zusammenarbeiten – und drohen Moskau und Minsk.
Schon zuvor hatte Josep Borrell, der sog. Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik (realistischer könnte er als Kriegsminister der EU bezeichnet werden) einen neuen „strategischen Kompass“ für die EU geliefert. Wie die Nachrichtenagentur Reuters aufgrund eines vertraulichen Dokuments berichtet, erwägen die EU-Staaten, bis 2025 eine Truppe mit bis zu 5000 Militärs aufzubauen. Damit will die EU nach dem Afghanistan-Einsatz militärisch „unabhängiger“ von den USA werden.
Auf der NATO-Tagung in Riga hatte Herr Blinken angeblich Beweise für russische Angriffsplanung. Nur – Beweise hat er keine vorgelegt. Er werde mit den NATO-Partnern darüber beraten, ob „es weitere Schritte gibt, die wir als Allianz gehen sollten, um unsere Sicherheit zu stärken“, meinte der amerikanische Außenminister in Riga.
Ein „Demokratie-Gipfel“ soll vom 9. bis 10. Dezember als virtuelle Veranstaltung stattfinden. Eingeladen sind Vertreter von etwa 110 Ländern – China und Russland gehören nicht dazu.
Bedrohlich, wenn solche Worte und Handlungen vom Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP begleitet werden, in dem vom 2-Prozent-Ziel der NATO (2% des BIP für Militärausgaben) nicht abgerückt wird, sondern im Gegenteil die NATO als „unverzichtbarer Teil unserer Sicherheit“ stärken will. Mit einem neuen 3-Prozent-Ziel für „internationales Handeln“, für „Diplomatie und Entwicklungspolitik“ UND die „in der NATO eingegangenen Verpflichtungen“ soll eine weitere Militarisierung verschleiert und durchgesetzt werden. Doller Kompromiss: 2 Prozent Krieg, 1 Prozent Diplomatie!
Der Kreml warnt vor einem Kriegsszenario an Russlands Grenze.
China ist auch nicht außen vor, sondern auf dem militärischen Schirm von NATO und EU. Die Fregatte „Bayern“ – ein schwer bewaffnetes Kampfschiff vom Typ „F 217“ fährt bis Ende Februar 13 Häfen an, darunter auch welche im Indopazifik. Die BILD schreibt begeistert von einem „Traumschiff mit Raketen“. Erstmals seit fast 20 Jahren kreuzt ein deutsches Kriegsschiff im Indopazifik. An der Seite der Amerikaner und weiterer Partner in der Region übt man das Seegefecht – und den Schulterschluss gegen China.
Allein an Hand dieser einen Reise dieses einen militärischen „Kreuzfahrtschiffes“ in Friedenszeiten ist erkennbar, dass schon vor dem Krieg, in der Aufrüstung und im täglichen „Normal“-betrieb, Militärapparate einen hohen Ausstoß von CO2 und anderen Treibhausgasen erzeugen, dass sie Ressourcenfresser sind und zu enormer Umweltzerstörung führen. Im Krieg potentiert sich das. Umwelt- und Friedensbewegung arbeiten deswegen zunehmend enger zusammen. Morgen bei der Aktionskonferenz werden diese Fragen eine große Rolle spielen und dort facettenreich diskutiert werden.
Weiter im Koalitionsvertrag:
„Wir werden den europäischen Pfeiler in der NATO stärken und uns für eine intensivere Zusammenarbeit zwischen NATO und EU einsetzen.“
„Die NATO-Fähigkeitsziele wollen wir in enger Abstimmung mit unseren Partnern erfüllen und entsprechend investieren.“
„… wir bekennen uns zur Aufrechterhaltung eines glaubwürdigen Abschreckungspotenzials“ – gleichzeitig wollen sie eine „abrüstungspolitische Offensive“.
Obwohl die Ampelkoalition verbal zur Abrüstung auffordert, will sie den Kriegshaushalt und die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr weiter erhöhen, mehr – auch bewaffnete – Drohnen einsetzen und weitere Schritte in Richtung EU-Armee gehen. Die BRD soll künftig „Beobachter“ an der Vertragsstaatenkonferenz des UN-Atomwaffenverbotsvertrages – ein Teilerfolg der Friedensbewegung – aber ausdrücklich nicht Mitglied. Obwohl ein anderer Eindruck vermittelt: Atomwaffen werden in Deutschland weiterhin einsatzbereit gelagert, neue Flugzeuge zu ihrem treffsicheren Einsatz sollen beschafft werden.
Und Deutschland soll zur ausgabestärksten Militärmacht Europas werden. Konkret ist eine stärkere Zusammenarbeit der nationalen Armeen innerhalb der EU, eine gemeinsame Kommandostruktur und ein gemeinsames „zivil-militärisches“ Hauptquartier
geplant. Die Entwicklung eines gemeinsamen Kampfjets bis 2040 ist das größte Rüstungsprojekt in der Geschichte der Europäischen Union.
Im Abschnitt „Abrüstung, Rüstungskontrolle, Rüstungsexporte“ ist zwar auch in blumigen Worten von Abrüstung die Rede, aber der Grundton lautet Weiter so. Weiter so mit Kriegsvorbereitungen, weiter so mit der atomaren Teilhabe Deutschlands und weiter so bei der „Pflege“ der Feindbilder Russland und China. Im entsprechenden Abschnitt des Koalitionsvertrags dominieren die Kategorien „systemische Konkurrenz“, „Abschreckung“ und die „Bedrohung“ aus dem Osten durch die gelbe und die rote Gefahr.
Der Koalitionsvertrag verströmt den Atem des kalten Krieges und fügt sich damit passgenau in die NATO-Globalstrategie ein. Dem entsprechen die geplanten Aufrüstungsmaßnahmen, von bewaffneten Drohnen bis zur aktiven Vorbereitung eines Atomkriegs im Rahmen der Politik der USA. Dieser Teil des Koalitionsvertrags spielt bisher in der veröffentlichten Meinung kaum eine Rolle – ist aber eine bedrohliche Ankündigung einer noch aggressiveren Außenpolitik. Aus Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Syrien, Libyen usw. soll offenkundig nichts gelernt werden.
Viele Friedensinitiativen und Aktivistinnen haben das sehr wohl begriffen. Doch für Teile der Friedensbewegung scheint der Koalitionsvertrag ein schwerer Schock zu sein. Immer wieder glauben Menschen an die Lügen, die Grüne und SPD-PolitikerInnen im Wahlkampf machen, wenn sie angeblich Friedenspolitik versprechen.
Mich erinnert es stark an 1999, als der Krieg gegen die Menschen in Jugoslawien geführt wurde. Vom 24. März bis 9. Juni wurden damals Ziele in serbischen Städten von NATO-Verbänden bombardiert, Menschen und ihre Infrastruktur zerstört. Die erst ein halbes Jahr im Amt gewesene rot-grüne Regierung hatte dabei deutsche Soldaten in den ersten Krieg geschickt, an dem sich Deutschland nach 1945 aktiv beteiligte. Er war einer der ersten Kriege, der mit einer humanitären Begründung von einer Regierungskoalition unter Beteiligung der Grünen geführt wurde.
Heute wird ein Virus der Angst gegen Russland und China verbreitet, fest an der Seite der USA. Der „Schutz der Menschenrechte“ wird wieder vorgeschoben und die Bundesregierung in spe macht mit.
Haben wir es vielleicht mit einer vergleichbaren Situation zu tun? Grüne und SPD in trauter Regierungseinheit zusammen mit der FDP? Ich hoffe nicht. Aber alles was wir sehen können, ist eine Kriegsvorbereitung der NATO und der EU. Es wird alles her
gerichtet, damit losgeschlagen werden kann, wenn es den Interessen der Herrschenden entspricht.
Was aber sind die Interessen der Herrschenden? In dieser Auseinandersetzung mit chinesischen und russischen Menschen?
Die USA machen Druck wegen Nordstream 2. Es geht um wirtschaftliche Interessen. Sie wollen ihr Gas in Europa verkaufen. Und wer gewinnt im Kampf um die knapper werdenden Ressourcen in Afrika?
Es ist eine gefährliche Situation, ein neuer Kalte Krieg beginnt, der schnell zu einem heißen Krieg werden kann und Grüne und SPD sind offensichtlich nicht unsere Bündnispartner.
Die Beispiele zeigen aber, daß im Falle von Krieg nicht nur auf die scheinbare Moral der Schießenden oder Befehlenden geschaut werden muß, sondern es muß als erstes die Frage gestellt werden: Wer hat welche Interessen?
Es geht um die Sicherung von Rohstoffen und Absatzmärkten für die großen deutschen Banken und Konzerne im engen Bündnis mit Frankreich und darum, Russland und China im „Systemwettbewerb“ weiter einzukreisen.
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba forderte, ein „Abschreckungspaket“ zu bündeln, um Russland von der „schlechtestmöglichen Option“ abzuhalten, nämlich die Ukraine anzugreifen. Kuleba plädierte zudem für eine intensivere Ausbildung der ukrainischen Armee durch die NATO und weitere Waffenlieferungen. Diese hatten allein aus den USA in diesem Jahr bereits einen Wert von 2,5 Milliarden Dollar (etwa 2,2 Milliarden Euro). Weitere Lieferungen sind in Vorbereitung, darunter Flugabwehrraketen des Typs „Stinger“.
Statt einer Rückkehr zum Kalten Krieg setzen WIR uns für eine Europäische Friedensordnung ein, die die Sicherheitsinteressen aller Staaten inklusive Russlands berücksichtigt. Wir sind für eine Lösung all der Konflikte im Interesse der Menschen diesen Regionen, auch der Nachbarstaaten, im Interesse der Geflüchteten und schließlich der Menschen auch hier. Denn Rüstung tötet schon im Frieden. Aber diese Lösungen müssen auf politischem Wege herbeigeführt werden! Militärische und politische Drohkulissen verunmöglichen den Dialog.
Kriege beginnen nicht mit Bomben, sondern mit Lügen. Und das erste Kriegsopfer ist immer die Wahrheit. Das ist furchtbar, aber es darf und braucht uns nicht ängstlich zu
machen. Wir klären auf über die Zusammenhänge und die Interessen. Wir setzen auf Argument und Überzeugung machen Druck für Abrüstung.
Raus aus der NATO, für Frieden auch mit Russland und China sind zentrale Orientierungen unserer Bewegung!
Die Verschwendung der Staatsgelder für Krieg muß aufhören, und echte soziale Investitionen im Interesse der Mehrheit der Menschen gemacht werden. (Nicht nur) im Öffentlichen Dienst haben die Beschäftigten vernünftige Löhne und Arbeitsbedingungen verdient!
Der angekündigte Mindestlohn ist eine Lachnummer: Nach bisherigem Stand steigt er am 1. Januar auf 9,82 Euro und am 1. Juli 2022 auf 10,45 Euro. Ob die schon lange angekündigten zwölf Euro „schon“ im Folgejahr oder erst am Ende der Legislatur gelten, steht dahin. Schon jetzt ist dieser Stundenlohn wegen des enormen Preisauftriebs deutlich weniger wert als im Jahr 2017.
Das Personal in der Pflege ist zu wenig, aber die Bundeswehr hat genügend Personal! Die Impfkampagne soll nunmehr von einem General geleitet werden. Was wir erleben, ist Staatsversagen auf der ganzen Linie, und die Ursache ist letztlich die Ausrichtung der Politik an den Interessen des Monopolkapitals. Um vom Versagen in der Pandemiebekämpfung und überhaupt abzulenken, muß ein Sündenbock gefunden werden. Es versagen aber nicht die Ungeimpften, sondern die Herrschenden – und deren Versagen hat System.
In der Coronakrise wird kräftig umverteilt. Die Geschäfte von Banken, Spekulanten und Großkonzernen laufen wie geschmiert. Die Aktienkurse an der Wall Street und in Frankfurt am Main haben neue Höchststände erreicht. Weltweit ist die Zahl der Millionäre auf 56 Millionen Personen gestiegen – allein in der BRD ist diese sich den Mehrwert der Werktätigen aneignende Spezies auf knapp 3 Millionen Menschen angewachsen. Dies entspricht der Bevölkerungszahl von zwei deutschen Metropolen. Es ist so, als ob Köln und Hamburg nur noch von Millionären bewohnt würden.
Ermutigend ist, daß trotz des Trommelfeuers eines großen Teils der Medien für die neue „fortschrittliche“ Regierung es schon viele kritische Stimmen aus der Friedensbewegung und Sozialverbänden gibt, die sich offen gegen das „Weiter so“ und den Koalitionsvertrag wenden.
Die Friedensbewegung lebt, hierzulande und in vielen anderen Ländern. Sie wollen uns totschweigen, aber das gelingt nicht, es gibt uns immer noch.
Und Geschichte wird von Menschen gemacht!
Dem römischen Staatsmann Cato dem Älteren (234–149 v.u.Z.) wird der Ausspruch „Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss“ zugeschrieben.
Im Übrigen bin ich immer noch der Meinung, Rüstungs- und Militärausgaben müssen gesenkt und schließlich ganz aus der Welt geschafft werden. Wir brauchen das Geld für Wohnungsbau, Klimapolitik, Soziales und Gesundheit, Kultur und Bildung usw.
Wir fordern an allererste Stelle: Weg mit dem militärischen 2-Prozent-Ziel der NATO!
Es gibt so viele Probleme, an denen wir ansetzen müssen und können. Wer, wenn nicht wir? Wir lassen nicht locker. In unserer Abschlusserklärung haben wir formuliert:
„· Abrüsten statt Aufrüsten, Frieden und Kooperation, das geht nur mit einer neuen Entspannungspolitik und internationaler Zusammenarbeit.
· Rüstungsexporte müssen verboten werden, bewaffnete Drohnen und Atomwaffen verschwinden; die Bundeswehr muss die Auslandseinsätze beenden.
· Statt Kriegspropaganda und Militarisierung fordern wir Zukunftsinvestitionen für eine internationale, gemeinsame Sicherheit.“
Wir wollen den Widerstand gegen Aufrüstung und Krieg verstärken, denn ein Aufbruch für Abrüstung und Frieden kann nur von den Bevölkerungen und Bewegungen durchgesetzt werden. Wir müssen uns dabei klar machen, daß wir alle an einem Strang ziehen müssen. Umso erfreulicher, daß Gewerkschaften und Kirchen, Umweltverbände und andere soziale Bewegungen stärker kooperieren.
Es gibt zahlreiche beachtenswerte örtliche Friedensinitiativen, sei es in Bremen, Frankfurt, Berlin, Hamburg, Essen, Kassel und auch in kleineren Orten. Auch überregionale und internationale Aktivitäten wie die Kampagne „Abrüsten statt Aufrüsten“, Mahnwachen in „Büchel“ für den Abzug der Atomwaffen aus Deutschland, ICAN u.a. für den Atomwaffenverbotsvertrag, die Anti-Drohnen-Kampagne, „Aktion Aufschrei“ gegen Rüstungsexporte, Veranstaltungen zu Afghanistan, Syrien, Mali, Proteste gegen FCAS und automatisierte Waffensysteme, Tag der Menschenrechte am 10. Dezember, Münchener Sicherheitskonferenz, Defender 2022, Ostermärsche usw.
Lasst uns diesen Ratschlag dazu nutzen, die Waffe der Aufklärung zu schärfen, die Welt interpretieren, um sie zu verändern, lasst uns Motivation und Optimismus bilden für die kommende Zeit und Herausforderungen.
Heute und morgen in der Frankfurter Aktionskonferenz können wir uns über diese und weitere Aktivitäten austauschen, uns einstimmen und abstimmen und anschließend in ein kämpferisches Friedensjahr gehen!