Rede bei Palästina-Kundgebung
Rede bei Palästina-Kundgebung in Gießen am 16.12.2023
Zu der Kundgebung erschien auch ein ausführlicher Presseartikel in der Gießener Allgemeinen.
von Willi van Ooyen
Liebe Friedensfreundinnen, liebe Friedensfreunde,
Zu Eurer Kundgebung am heutigen Tage hier in Gießen grüße ich euch im Namen des Bundesausschusses Friedensratschlag und versichere Euch die uneingeschränkte Solidarität im gemeinsamen Kampf für „Frieden und Gerechtigkeit im Nahen Osten“.
Anlässlich der Gewaltexplosion im israelisch-palästinensischen Konflikt sind unsere Demonstrationen und Aktionen dringend notwendig. Im Namen des Bundesauschusses Friedensratschlag möchte ich mich für den Zuspruch, den wir für unsere Friedensarbeit erhalten habe und den Mut, den ihr alle gemeinsam gegen die Repression der Kriegstreiber durch eure Beteiligung zeigt, herzlich bedanken.
„Vergeltung“, Rache und Hass erscheinen als die Gebote der Stunde. Der Schuldige, der Einfachheit halber allein die Hamas, steht eindeutig fest, kollektive „Bestrafung“ erscheint moralisch gerechtfertigt. Ja, dieser Angriff ging von den Palästinensern aus. Ja, das Verhalten vieler Angreifer war barbarisch.
Der Angriff der Kassem-Brigaden aus dem Gazastreifen auf Israel hat uns geschockt. Wie im Ukraine-Krieg wird er als überraschend, unprovoziert und brutal dargestellt, und wieder ist die deutsche Außenministerin eine der ersten, die einer der Kriegsparteien die uneingeschränkte Solidarität verspricht. Doch der Angriff hat eine Vorgeschichte, die in der völkerrechtswidrigen Besatzungspolitik israelischer Regierungen zu finden ist und immer wieder zu Gewaltausbrüchen zwischen den Konfliktparteien führte. Versuche, den Konflikt durch eine Zwei-Staaten-Lösung zu entschärfen, wurden von israelischer Seite immer wieder blockiert.
Die Annäherung zwischen einzelnen arabischen Staaten und Israel, die die Interessen der Palästinenser dabei übergehen, sind keine vernünftige Politik. Die gewaltsame Besatzungspolitik der derzeitigen rechtsradikalen Netanjahu-Regierung, die seit Jahresbeginn immer mehr palästinensische Todesopfer im Westjordanland forderte, bilden den provokatorischen Hintergrund für den Angriff aus dem Gazastreifen auf israelisches Territorium.
Ohne die Asymmetrie von Gewalt und Gewaltanwendung in diesem Konflikt zu benennen und zu bekämpfen, wird eine Lösung nicht möglich sein.
Wir kritisieren die Haltung der Bundesregierung, in dieser eskalierenden Situation einseitig auf das Recht Israels auf Selbstverteidigung im Rahmen der deutschen Staatsräson für Israels Sicherheit zu pochen: Die israelische Regierung bombardiert den Gazastreifens, den kriegsgeschundenen Menschen im Gazastreifen wurde das Wasser abgedreht, der Strom abgeschaltet, die Kommunikation unterbrochen, der Import aller Güter inklusive Kraftstoff blockiert und es wurde ein langer Krieg angekündigt.
Meldungen, dass auch die Spannungen an der Nordgrenze Israels zunehmen und der Eintritt der Hisbollah in den Konflikt im Raume steht, sollten doch eigentlich dazu führen, dass die Bundesregierung die Konfliktparteien insgesamt zu Zurückhaltung und Mäßigung aufruft. Der im Koalitionsvertrag festgelegte Vorsatz, sich für eine Zweistaatenlösung einsetzen zu wollen, harrt mehr denn je der Umsetzung. Die Sicherheit Israels ist erst dann gewährleistet, wenn eine ausgehandelte Lösung umgesetzt ist.
Wir verlangen, dass sich die Bundesregierung sofort für einen Stopp der Kampfhandlungen und der Aufhebung der Blockade des Gazastreifens einsetzt, alle verfügbaren diplomatischen Kräfte mobilisiert und endlich den Verhandlungsweg nachhaltig fördert.
In mehr als zwei Monaten Krieg wurde die Lebensgrundlage von zwei Millionen Menschen in Gaza zerstört. Mittlerweile sind 18.000 Palästinenser:innen getötet und Unzählige verletzt worden – mehrheitlich Frauen und Kinder. Hunderttausende sind nicht nur vertrieben worden, sondern haben ihre Wohnung oder ihr Haus verloren und leben nun in existentieller Unsicherheit in Notunterkünften oder unter freiem Himmel. Die Enklave, eine der am dichtest besiedelten Regionen der Welt, ist schon jetzt in weiten Teilen ein unbewohnbares Trümmerfeld.
Trotz und gegen die Hoffnungslosigkeit rufen wir zu direkter und unmittelbarer Hilfe auf.
Die Bundesregierung spricht von Staatsräson für einen Staat Israel. Doch welcher Staat Israel ist gemeint? Der Staat in seinen von der UN anerkannten Grenzen von 1967? Oder der Staat Israel einschließlich der seither von ihm annektierten Gebiete? Der Staat Israel einschließlich der völkerrechtswidrig errichteten Siedlungen?
Und um welche Art Staat handelt es sich? Jene viel gepriesene „einzige Demokratie im Nahen Osten“ oder einen Staat auf der Grundlage des Nationalstaatsgesetzes von 2018, von dem Premierminister Netanjahu sagte „Israel ist nicht der Staat aller seiner Bürger … sondern des jüdischen Volkes – und nur dieses.“?
Ein Staat, dessen derzeitiger Finanzminister Smotrich sich selbst als Faschisten bezeichnet? Ein Staat, in dem der Sicherheitsminister Ben Gvir die Auslöschung der Kleinstadt Huwara verlangt? Eine neue ethnische Säuberung ist also längst im Gange.
Und die von Israel geforderte Flucht der Bewohner des Küstenstreifens nach Süden: ist sie Vorbereitung für eine neue, massenhafte Vertreibung, ist doch der „Transfer“ der palästinensischen Bevölkerung in benachbarte arabische Staaten seit Jahrzehnten Thema der israelischen Politik.
Die Bundesregierung positioniert sich gegen einen Waffenstillstand und unterstützt die rechte bis rechtsradikale israelische Regierung bei ihrer völkerrechtswidrigen Kollektivbestrafung der Menschen im Gazastreifen. Das aber verhindert jegliche Perspektive auf Frieden – auch für Israelis. Stattdessen muss die Logik der Gewalt gebrochen werden.
Die verheerenden israelischen Angriffe auf den Gaza-Streifen, die eindeutig massive Kriegsverbrechen darstellen, müssen sofort beendet werden. Ohne jegliche Vorbedingung ist ein Waffenstillstand zu vereinbaren, damit wirksame humanitäre Hilfe in den betroffenen Gebieten geleistet werden kann. Auch die Angriffe auf die palästinensische Bevölkerung im Westjordanland müssen eingestellt werden.
Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern muss auf dem Wege von Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien gelöst werden. Auch im Nahen Osten gilt: „Krieg ist nie die Lösung!“
Von der deutschen Bundesregierung verlangen wir als Friedensbewegung, dass sie sich bei der Regierung Israels für den Waffenstillstand einsetzt und auf weitere Waffenlieferung in das Kriegs- und Krisengebiet verzichtet. Statt Waffen müssen zivile Hilfsgüter geliefert werden, die ein Überleben der Bevölkerung und den Wiederaufbau ermöglichen.
- Der Krieg muss gestoppt werden!
- Das Töten muss ein Ende haben!
- Frieden und Freiheit für Palästina!
- Hoch die Internationale Solidarität!