Barbara Heller bei der Kundgebung Stop Killing Afghans
Redemanuskript Barbara Heller (Bremer Friedensforum) am 20.8.21 bei der Kundgebung Stop Killing Afghans
20 Jahre Krieg in Afghanistan sind 20 Jahre Kampf gegen den Nato-Krieg in Afghanistan
Die Friedensbewegung hat diesen Krieg und die Beteiligung Deutschlands unter der sozialdemokratisch-grünen Regierung von Anfang an verurteilt. Bundeswehr raus aus Afghanistan war deshalb unsere Forderung.
Von Anfang an haben wir gesagt: Krieg löst keine Probleme. Krieg verschärft die Konflikte. Krieg ist Terror. Auch der Krieg gegen Terror ist Terror, stärkt den Terrorismus.
Die Bundesregierung setzte auf Angst und Hetze, um die Deutschen für den Krieg zu gewinnen: Wir erinnern an die unsägliche Äußerung des damaligen Verteidigungsministers Struck: Die Sicherheit Deutschlands werde auch am Hindukusch verteidigt. Inzwischen haben wir erlebt, was es heißt, wenn Menschen ihre Heimat verlassen und sich daran machen, ihre Vorstellung von Freiheit und Sicherheit bei uns in Europa oder in Deutschland mit Gewalt zu verteidigen.
Worum ging es bei diesem Krieg? In den ersten Kriegsjahren gab es in den USA phantastische Berichte von „atemberaubenden Rohstoffvorkommen“ in Afghanistan. Ferner gab es Pläne für den Bau einer Pipeline. Nichts neues also über die Kriegsgründe: Rohstoffe, Absatzmärkte, Transportwege und geostrategische Überlegenheit. Die Narrative von „nation building“, Demokratieexport und Einsatz für Menschenrechte wurden im Verlauf des Krieges aber immer wieder medial belebt und verbreitet.
Das Bremer Friedensforum hat in dem 20 Jahre dauernden Krieg in Afghanistan eine ganze Reihe von Veranstaltungen über die Hintergründe und Perspektiven organisiert. Mehrfach war Matin Baraki, der aus Afghanistan stammende Marburger Politologe, zu Gast in Bremen. Immer wieder hat er sein Konzept für eine Befriedung Afghanistans vorgetragen. Als Voraussetzung dafür benannte er klar und deutlich seine Forderung: Abzug aller imperialistischen Truppen aus dem Land!
Während dessen macht Condoleeza Rice (Außenministerin 2005 – 2007 unter Bush) auf die amerikanische Strategie in Greater Middle East aufmerksam. Bei einem öffentlichen Vortrag kündigt sie ein „kreatives Chaos“ in der Region an, die Neuordnung der Region sei allerdings ohne „schmerzhafte Geburtswehen“ (wörtlich) nicht zu haben. Wir haben dieses kreative Chaos in unsere Sprache übersetzt: Die Blutspur des Westens, Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien…
Während in dieser Region immer mehr Menschen durch Militär und Gewalt ihr Leben verlieren, wird in Deutschlands Amtsstuben diskutiert, wie man das Ganze bezeichnen solle: Krieg oder was? Afghanistan wird als „kriegsähnliches Gebiet“ bezeichnet. Der damalige Verteidigungsminister zu Guttenberg gestand uns dann aber zu, umgangssprachlich könne man von Krieg reden.
Unterdessen sucht die Friedensbewegung Unterstützung im Kampf gegen den Krieg in Afghanistan. Zustimmung kommt von unerwarteter Seite. In der Bundeswehr gibt es das „Darmstädter Signal“, einen Zusammenschluss kritischer Soldaten. Ihre Kritik, dass der Afghanistan-Einsatz gegen das Grundgesetz verstößt, führt dazu, dass die Kritiker kaltgestellt und ihrer Funktionen enthoben werden. Beim Ostermarsch 2007 spricht Oberst Pfaff in Bremen über seinen Kampf gegen den Afghanistaneinsatz.
Auch aus Kirchenkreisen gibt es Unterstützung. Die Bischöfin Margot Käßmann sagt in ihrer Neujahrsansprache 2010: „Nichts ist gut in Afghanistan“ und löst damit Debatten über den Einsatz aus. Wobei immer wieder klar wird, dass die Mehrzahl der BundesbürgerInnen dem Einsatz sehr kritisch gegenübersteht, die Politik aber daran festhält.
Noch kritischer als den Einsatz selbst sehen die BundesbürgerInnen den Rüstungsexport. Dass deutsche Rüstungskonzerne Waffen an Pakistan liefern dürfen, an Pakistan, das Land, das der Hauptunterstützer der Taliban ist, wird in der Öffentlichkeit als Skandal betrachtet. Aber es ist ja nicht nur Pakistan, zu dem Deutschland gute Beziehungen hat, auch die Saudis sind willkommene Bündnispartner der Deutschen, obwohl ihre Unterstützung der Islamisten bestens bekannt ist.
Bundesweit gibt es Demonstrationen gegen den Krieg in Afghanistan. Die Friedensbewegung zeigt auf, wo sie die Lösung für die Probleme sieht: Bundeswehr raus aus Afghanistan! Ja zum Frieden – Nein zur Nato! UNO statt Nato! BRD raus aus der blutbefleckten Nato! Das sind die Losungen, mit denen wir auf die Straße gehen.
In Afghanistan geht der Krieg weiter.
Der Krieg gegen die Taliban, aber auch der Krieg gegen die Zivilbevölkerung.
Wir wissen, dass in allen aktuellen militärischen Auseinandersetzungen die Zivilbevölkerung den Hauptblutzoll trägt. Die USA setzen Streubomben ein, die furchtbare Opfer unter der Zivilbevölkerung anrichten. Die eingesetzte DU-Munition, also uranabgereicherte Munition bringt nicht nur unmittelbare Verletzungen und Tötungen mit sich, sondern verursacht auch genetische Schäden, die noch generationenlang wirken. Von den Besatzungstruppen angewandte Folter und Exekutierungen gefangener Afghanen durch Angehörige der Nato-Truppen lassen den Hass auf den Westen wachsen und stärken die Taliban.
Dazu kommen die Drohnenangriffe. Sie nehmen exzessiv zu, allein in den letzten 5 Jahren gab es 10 000 Tote und Verstümmelte. Opfer sind ganze Hochzeitsgesellschaften, Bauern auf dem Feld, Reisende auf dem Weg zum Markt. Die am Himmel kreisenden Drohnen verbreiten Angst und Schrecken. Niemand weiß, wer das nächste Opfer sein wird. Drohnenmorde sind extralegale Hinrichtungen. Ohne Deutschland wären diese Morde nicht möglich, denn über Ramstein in der Pfalz werden die Drohnen gesteuert. Deutschland beteiligt sich also in besonderer Weise an diesem schmutzigen Krieg. Die aus Deutschland gesteuerten Drohnenangriffe verstoßen gegen das Grundgesetz und gegen das Völkerrecht. Aber die Bundesregierung unternimmt nichts dagegen.
Für 60 % der zivilen Opfer in Afghanistan, darunter 40 % Kinder, waren die westlichen Alliierten und die Regierungstruppen verantwortlich. Jedes dieser zivilen Opfer arbeitet den Taliban in die Hände.
In diesem Zusammenhang muss auch an Oberst Klein erinnert werden und an die blutigste deutsche Militäraktion seit 1945. Am 4.11.2009 befahl Klein die Bombardierung zweier Tanklaster, die in einem Flussbett bei Kundus stecken geblieben waren. 100-150 Menschen, darunter viele Frauen und Kinder, die von dem Tanklaster Sprit holen wollten, starben bei der Bombardierung, viele wurden schwer verletzt und verstümmelt. Den Befehl hatte Bundeswehroberst Georg Klein gegeben, trotz der Bedenken der US-Bomberpiloten. Die Opfer und Hinterbliebenen kämpften weitgehend erfolglos für eine Entschädigung aus Deutschland. Gemeinsam mit dem aus Afghanistan stammenden Bremer Rechtsanwalt Karim Popal, der die Opfer und Hinterbliebenen des Kundus-Anschlages vertrat, informierten wir die Öffentlichkeit über dieses Verbrechen. Für den Bundeswehroberst Klein hat sich die Sache gelohnt, er wurde zum Brigadegeneral befördert, seit April diesen Jahres ist er Abteilungsleiter im Verteidigungsministerium.
Im Mai 2011, wurde Osama Bin Laden in Pakistan, wo er vermutlich seit 2006 lebte, gefangen genommen und ums Leben gebracht. Mit Pakistan pflegen die USA und viele westliche Regierungen bis heute gute Beziehungen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wäre der ursprünglich genannte Kriegsgrund entfallen. Am 15.8.21 sagte der US-Außenminister Blinken rückblickend: „one mission in mind: to deal the people who attacked us 9/11“.
Aber der Krieg wird nicht beendet, er wird „afghanisiert“, d.h. die afghanischen Opferzahlen steigen, sowohl was die Zivilisten als auch die Soldaten angeht. Der Bundestag verlängert das Bundeswehr-Mandat jedes Jahr. Die PDL stimmt als einzige Partei jedes Mal geschlossen gegen den Einsatz, die Mehrheit der Parteienvertreter von CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen stimmt dafür. Die AfD lehnt den Einsatz ab, aber sie ist kein Bündnispartner für die Friedensbewegung.
Während die Opferzahlen unter den deutschen Soldaten steigen und die Traumatisierungen der Kriegsrückkehrer zunehmen, läuft die Propagandamaschine weiter. Brunnenbauen, Bildung und Frauenemanzipation werden uns immer wieder als wahre Aufgaben des Afghanistaneinsatzes verkauft. Gerade das Argument mit den Frauen zeigt die ganze Verlogenheit und Verkommenheit der Besatzer. So als hätte es nie eine Regierung Nadschibullah gegeben, eine Zeit, in der es den Frauen in Afghanistan so gut ging wie nie zuvor und nie danach. Aber genau diese Regierung wurde mit Hilfe der Islamisten und der USA brutal zerschlagen.
Und dann geht alles ganz schnell. Im Frühjahr 2020 verhandelt der US-Präsident Trump mit den Taliban und vereinbart den Abzug der US-Truppen. Eine wesentliche Bedingung ist die zugesicherte Straffreiheit für US-Bürger. Die offizielle Begründung für den Abzug ist die neue Schwerpunktsetzung der USA. Bereits unter Obama hatten die USA das „pazifische Jahrhundert“ ausgerufen. Der neue Feind ist China.
Noch am 4.3.21 verlängert der Bundestag das Bundeswehrmandat für Afghanistan bis 2022. Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer will „den Friedensprozess weiter unterstützen“.
Außenminister Maas schwadroniert Ende Juni, die Bundeswehr habe in Afghanistan „den Boden für eine lebendige Zivilgesellschaft bereitet“. Maas schlägt die Warnungen seiner Diplomaten vom raschen Vormarsch der Taliban in den Wind, die Evakuierung der Hilfstruppen wird nicht vorbereitet.
Erst am 12.8. wird die Abschiebung von Flüchtlingen nach Afghanistan ausgesetzt.
Die Taliban erobern in wenigen Tagen fast im ganzen Land die Macht. Sie sind heute stärker denn je und sie sind bestens militärisch ausgerüstet, die Waffenarsenale sind gut gefüllt mit dem, was die Nato-Truppen zurückgelassen haben und was die westliche Welt nach Pakistan und Afghanistan geliefert hat.
Dieser Krieg war von Anfang an ein Verbrechen. Die USA kehren zu ihrem Ausgangspunkt zurück. Blinken: “Das einzige, was wir wollten, war, diese Leute, die für 9/11 verantwortlich waren, zu behandeln. Das Ziel ist erreicht.“ So einfach ist das, so zynisch, so verbrecherisch. 20 Jahre Krieg, hunderttausende Tote, ein Land ärmer und zerstörter als je zuvor.
Einmal mehr hat sich gezeigt: Krieg führt nicht zur Lösung von Konflikten, Krieg ist Terror, Krieg gegen den Terror nährt den Terrorismus
Das Ergebnis ist bitter für die afghanische Bevölkerung und für die Kriegsgegner.
Es ist nicht gelungen, aus dem Protest gegen den Krieg in Afghanistan eine Massenbewegung zu machen. Die Bundespolitik hat 20 Jahre ungehindert ihren Kriegskurs fortgesetzt. Es steht zu befürchten, dass sie – trotz der afghanischen Erfahrung – an der militarisierten und militaristischen Außenpolitik festhält.
Deutschland wird sich auch weiterhin an Kriegen beteiligen, die für Zugang zu Rohstoffen und Absatzmärkten, zur Sicherung von Transportwegen und für geostrategischen Einfluss geführt werden. Die Verteidigung der Privilegien und die Absicherung des Wohlstands der westlichen Welt auf Kosten Dritter macht die Zukunft immer gefährlicher. Wer Frieden will, muss die Bundeswehr aus Mali zurückholen und darf die Fregatte Bayern nicht ins Südchinesische Meer schicken. Das menschenrechtliche Beiwerk dient nur dazu, die wahren Ziele zu verschleiern.
Brecht, Das Gedächtnis der Menschheit. (1952)
Denn der Menschheit drohen Kriege,
gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind,
und sie werden kommen ohne jeden Zweifel,
wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten,
nicht die Hände zerschlagen werden.