Podiumsrunde Wehrpflicht und Zwangsdienste
beim 32. Bundesweiten Friedensratschlag in Kassel am 8.11.2025
Redaktionelle Bearbeitung der automatisch erstellten Transkription und Zwischentitel: Karl-Heinz Peil
Infos zum Bündnis „Nein zur Wehrpflicht!“ unter: https://neinzurwehrpflicht.wordpress.com/
Siehe auch Bericht von Felicitas Rabe bei RT DE vom 14.11.25: Mobilisierung der Jugend: Strategien und Aktionen im Kampf gegen die Wehrpflicht (Achtung: Wegen Internetsperren ist dieser Link evtl. nur über eine alternative URL erreichbar).
Einführung
Julian Eder (Moderation): Am 1. Januar 2026 soll das Wehrdienstgesetz in Kraft treten. Der Bundestag hat sich damit schon in der ersten Lesung befasst. Die öffentliche Debatte zur Wehrpflicht läuft schon seit langem und sehr intensiv. Gestritten wird aber in der Regel nicht darüber, ob die Wehrpflicht wieder eingeführt werden sollte, sondern darüber, wie schnell, in welchem Ausmaß und auf welche Art und Weise. Wir wollen hier nicht darüber diskutieren, ob die Wehrpflicht eingeführt werden sollte. Es ist ziemlich klar, dass wir alle dagegen sind. Wir sprechen jetzt darüber, wie wir diese Wehrpflicht verhindern können. Der Widerstand gegen die Wiedereinführung des Zwangs zum Kriegsdienst hat in ganz Deutschland in unterschiedlichsten Bereichen schon längst begonnen.
Wir haben auf diesem Podium jetzt sieben Vertreterinnen und Vertreter aus unterschiedlichen Bereichen und Organisationen versammelt:
- Tom Widkämper, Mitglied des Jugendverbandes Linksjugend Solid und im Landesverband Hamburg aktiv
- Till Tiedemann, aktiv bei ver.di Jugend in Kiel und dort auch im Bündnis „Nein zur Wehrpflicht“
- Phil, aktiv im offenen Schülertreffen Zukunftsmacher in Münster und im dortigen Schulstreikkomitee gegen die Wehrpflicht
- Andrea Hornung, Bundesvorsitzende der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ)
- Judith Busse, Landesgeschäftsführerin der DFG-VK in Hessen und Rheinland Pfalz
- Greta Nowak, aktiv im Jugendverband Die Falken sowie Mitglied der Antimilitarismus Arbeitsgruppe
- Mena Winkler, aktiv im Studierendenverband Die Linke SDS und dort im Bundesarbeitskreis Antimilitarismus und Frieden
Teil 1: Auf welchen gesellschaftlichen Ebenen spielt die Wehrpflichtdebatte eine Rolle?
Warum die Wiedereinführung der Wehrpflicht gerade jetzt?
Julian Eder: Ich fange direkt an mit einer Frage an die politischen Jugendverbände: Warum wird jetzt versucht, in dieser Situation die Wehrpflicht wieder einzuführen? Was sind die Hintergründe dazu und wie schätzt ihr die Auseinandersetzung darum ein?
Andrea (SDAJ): Ich möchte ganz grundsätzlich anfangen. Wir wissen, dass Kapitalismus und Imperialismus Krieg bedeuten. Und genau das ist der Hintergrund, vor dem die Wehrpflicht wieder eingeführt werden soll. Wir erleben gerade, dass Deutschland und die NATO Staaten sich vom Abstieg bedroht sehen, dass sie um ihre Absatzmärkte, Einflusssphären und Profite fürchten und dass sie deshalb einen großen Krieg vorbereiten, der sich vor allem gegen Russland und China richtet, der gerade jetzt schon mit Militärmanövern wie Quadriga oder Red Storm Bravo auch geübt wird. Und deshalb wird aufgerüstet. Deshalb sollen US Mittelstreckenraketen nächstes Jahr in Deutschland stationiert werden. Und deshalb soll auch die Wehrpflicht oder besser der Kriegsdienst eingeführt werden. Es geht also bei der Einführung der Wehrpflicht zum Kriegsdienst um nicht mehr und nicht weniger als um die Vorbereitung eines großen Krieges. Und um das zu rechtfertigen werden uns alle möglichen Lügen erzählt, wie z.B. dass der Russe uns bedroht. Ulrike Eifler hat in ihrem Workshop heute schon deutlich gemacht, dass es ganz zentral ist, dass wir die Bedrohungslüge entlarven. Und dem kann ich mich nur anschließen. Wir müssen deutlich machen, dass die NATO-Staaten Russland in allen wesentlichen militärischen Bereichen um ein Vielfaches überlegen sind und dass sie es sind, die die zahlreichen Angriffskriege auf der Welt begonnen haben, wie den Jugoslawienkrieg als ersten Krieg auf europäischem Boden nach 1945. Deshalb müssen wir uns gegen die NATO Staaten richten.
Es wird uns weiter erzählt, wir müssten der Gesellschaft was zurückgeben über einen Kriegsdienst oder über ein Gesellschaftsjahr. Und auch das ist eine Lüge. Wofür sollen wir was zurückgeben? Für die kaputten Schulen, in denen wir sitzen, für die zerstörte Umwelt, für die Stellenstreichungen, unter denen wir leiden, für den Ausbildungsplatzmangel? Uns wird erzählt, wir sollten die Demokratie verteidigen. Dabei ist es der Krieg, der den Demokratieabbau erfordert.
Wir erleben, wie die Palästina-Demos massenhaft verboten werden und wir jede einzelne einklagen müssen, damit wir demonstrieren können.
Wir erleben, wie die Versammlungsfreiheit und die Meinungsfreiheit immer weiter eingeschränkt und abgebaut werden.
Und mit der Wehrpflicht soll eben jetzt die ganze Gesellschaft weiter militarisiert werden, wie es schon seit Jahren und Jahrzehnten passiert, wie die Bundeswehr ja auch mit Schulen und Hochschulen verpflichtend zusammenarbeiten muss, wie jetzt in Bayern auch Zivilklauseln verboten werden. Und wir sollen eben auch als Kanonenfutter angeworben werden, im Zweifelsfall im großen Krieg auch sterben.
Die Wehrpflicht soll erst freiwillig eingeführt werden, als Wehrdienst aber schon. Das ist nur so halb freiwillig, wenn man sich anschaut, mit welchen Summen wir da geworben werden und was wir sonst beim Freiwilligen Sozialen Jahr im Vergleich kriegen. Und ganz so freiwillig ist es auch deshalb nicht, weil Männer von Anfang an auf die Briefe antworten müssen und ab 2027 auch verpflichtend gemustert werden. So zumindest steht es im Gesetzesentwurf. Aber im Gesetzesentwurf steht auch drin, dass die Wehrpflicht auf jeden Fall kommen soll, wenn man nicht genug Freiwillige erreicht. Es ist völlig klar, dass man die gewünschte Zahl von 460.000 Soldaten für die Bundeswehr nicht erreichen wird. Die Wehrpflicht ist also ein ganz elementarer Teil der Kriegsvorbereitung.
Das bedeutet aber auch: Wenn wir es schaffen, die Wehrpflicht zu verhindern, dann können wir einen ganz wichtigen Teil der Kriegsvorbereitung verhindern. Deshalb hat der Kampf gegen die Wehrpflicht, bzw. gegen den Kriegsdienst so eine strategische Bedeutung für uns. Deshalb ist es so wichtig, dass wir als Friedensbewegung das als unsere Aufgabe begreifen, dagegen zu kämpfen, die Aktivitäten dagegen zu stärken und gemeinsam deutlich sagen: Nein zur Wehrpflicht.
Tom (Linksjugend Solid): Ich meine, es gibt vorneweg noch einen simpleren Grund neben der Krise der NATO. Es zeigt sich, dass die bisherige Propaganda in den Schulen, also der Bundeswehr, im Kino, auf Social Media usw. nicht dazu führt, dass ein größerer Teil der Jugend kriegstüchtig ist. Im Gegenteil, es gehen immer weniger Menschen zur Bundeswehr. Und die Wehrpflicht ist sehr simpel darauf gerichtet, das zu kompensieren. Zur Krise der NATO würde ich noch hinzufügen, dass es ja nicht nur um den Niedergang des US-Imperialismus und auch des europäischen Imperialismus geht, sondern dass sich gerade gegen die kolonial begründete Gewalt und Ausbeutung heute eine globale Bewegung formiert. Die internationalen Hafenarbeiter-Streiks sind ja ein super Beispiel dafür, dass tatsächlich dafür gekämpft wird, weltweit Kriege zu beenden und zwar nachhaltig. Und das in Einheit damit, dass das Völker- und Menschenrecht aus der UN endlich erfüllt wird. Vor diesem Hintergrund ist eben die Wehrpflicht in den imperialistischen Kernländern eine Maßnahme dafür, Kriegstüchtigkeit herzustellen und den Widerstand in diesen imperialistischen Zentren zu bekämpfen. Hoch interessant finde ich daran, dass man immer wieder in Umfragen feststellen kann, dass 86 % der Jugendlichen gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht sind. Ich sehe darin ein Nein zu einem Leben mit Militär. Was aber auch heißt: Ja zu einem Leben ohne Militär. Deshalb ist die Auseinandersetzung um die Wehrpflicht ganz zentral und exemplarisch um die Lösung der aktuellen Krise. Deshalb sollen Befehl und Gehorsam vermittelt werden. Wir sollen auf eine humane Entwicklungsperspektive verzichten und uns dem Diktat militärischer Unterdrückung der Persönlichkeiten unterordnen.
Oder geht es tatsächlich um eine erfreuliche Perspektive humaner Entwicklung, in der die Entfaltung einer jeden Persönlichkeit damit einher geht, dass wir endlich darüber verfügen, dass wir tatsächlich ein Gesundheitswesen brauchen, in dem der Mensch im Mittelpunkt steht, anstatt es als Feldlazarett umzurüsten?
Wir brauchen eine Schule, in der es um Emanzipation geht, statt dafür zu lernen auf den Russen zu schießen. Das kann man jetzt für alle weiteren gesellschaftlichen Bereiche ausführen. Ich meine, dass sich dieser Kampf deswegen deshalb lohnt, weil es auch eine massive Möglichkeit dafür ist, dass man in sehr breiten Bündnissen mit einer doch etwas weitreichenderen Perspektive und Verständnis von Frieden zu einer neuen Stufe an Verallgemeinerung von Friedensbewegung, kämpferischer Bewegung in Deutschland und darüber hinaus kommen kann. Diese Chance sollten wir unbedingt nutzen.
Wie präsent ist die Debatte bei Kindern und Jugendlichen?
Greta (Die Falken): Ich glaube, dass es mit der Wehrpflichtdebatte auch sehr viel zu gewinnen gibt, gerade bei Jugendlichen und Kindern. Unsere Jugendorganisation organisiert nicht nur Jugendliche, sondern eben auch schon Kinder. Ab sechs Jahren und auch schon im frühen Kindesalter ist der Krieg ein Thema. Sie bekommen mit, wenn man ihnen ernsthaft erklärt, dass Entscheidungen getroffen werden, die sie ganz konkret selber betreffen und sind dafür auch bereit auf die Straße zu gehen. Und ich glaube auch, dass es ein großer Moment ist, um auch viele junge Menschen zu politisieren, weil diese Frage der Wehrpflicht und der Bundeswehr ganz konkret eine Frage zwischen den Jugendlichen und dem Staat ist. Welches Verhältnis möchte man da einnehmen? Und viel konkreter stellt sich die Frage von Sozialismus oder Barbarei, um eine linke Perspektive an Jugendliche heranzutragen.
Ich denke, dass das nicht nur für Einzelpersonen und Jugendliche gilt, sondern auch für andere Jugendverbände. Besonders die Meinung zu der Wehrpflicht geht innerhalb von Jugendverbänden sehr weit auseinander. Viele sind sich einig, dass ein Pflichtdienst schlecht ist. Aber es ist schwierig, sich auf fundamentale Kritik an Krieg und Militarismus zu einigen. Da haben wir auf dem Podium eine schon sehr viel ausgereiftere Analyse davon, was hier gerade in der Welt passiert und wie man dagegen agieren kann. Und ich glaube, da kann man auch ganz unerwartete Bündnisse und knüpfen und Verbündete gewinnen.
Julian Eder: Judith, wie geht ihr in der DFG-VK mit der öffentlichen Debatte um? Was meint ihr, wie man in die Auseinandersetzung gehen sollte?
Judith (DFG-VK): Wir sehen auch eine große Chance darin, dass das Thema mit dem neuen Wehrdienst wieder aufkommt, weil wir durch unsere KDV-Beratung auch viele junge Menschen politisieren können zu den Themen Krieg und Frieden. Wir hoffen natürlich, dass wir darüber dann auch Mitglieder gewinnen können. Das Thema Wehrpflicht sollte genutzt werden, um generell gegen Militarisierung in Deutschland zu kämpfen, auch wenn das natürlich nicht der einzige Punkt dabei ist. Wir als DFG-VK vergessen dabei nicht, dass es noch andere wichtige Themen gibt, wie die Aufrüstung und die Raketenstationierung in Deutschland, die ab 2026 stattfinden soll. Als mein letzter Punkt: Am besten sind wir nicht nur gegen den neuen Wehrdienst, sondern generell gegen die Wehrpflicht, wie sie im Grundgesetz steht. Wir sollten deshalb sagen, der dort der ganze Artikel 12a gestrichen wird.
Was passiert an den Schulen?
Julian Eder: Phil, du bist im offenen Schülertreffen „Die Zukunftsmacher“ in Münster aktiv gegen die Wehrpflicht. Ihr wollt am 5. Dezember dort an mehreren Schulen streiken. Das passiert nicht nur in Münster, sondern in einigen Städten in Deutschland. Wie ist es dazu gekommen und was erhofft ihr euch von dieser Aktionsform?
Phil (Schülertreff): Vorab zur Situation in Münster und wie wir dazu gekommen sind. Unser offenes Schülertreffen „Zukunftsmacher“ bestand schon vor der Idee, Schulstreiks gegen die Wehrpflicht zu machen. Damit haben wir auch bereits im Juni dieses Jahres schon Schulstreiks organisiert, die durch die Landesschüler*Innenvertretung NRW initiiert worden sind, bei denen wir mit über 150 Schüler*Innen auch die Wehrpflicht angeprangert haben, aber neben anderen Themen wie marode Schulen und dass wir auch eine Schule für alle fordern. Und ich glaube, diese Stimmung – auch gegen die Wehrpflicht – hat sich seitdem noch verstärkt. Wir sehen in Umfragen, dass teilweise über 90 % der Schüler*Innen gegen die Wehrpflicht sind. Mit maroden Schulen, kaputten Toiletten, Leistungsdruck in den Schulen und dauerhafter Selektion wächst der Widerstand aber auch der generelle Ärger über die Zustände. Deshalb wollen wir diese Schulstreiks nutzen, um das in der Jugend vorhandene Protestpotenzial auf die Straße zu tragen.
Darum sind wir dem bundesweiten Aufruf zu den Schulstreiks zum 5.12. gefolgt und haben dann auch offene Treffen in Münster organisiert, wo wir Schüler*Innen dazu eingeladen haben. An zwei Schulen haben jetzt Streikkomitees, in denen wir arbeiten.
Wir haben uns auch an die Bezirksschülervertretung in Münster gewandt, die wir jetzt dafür gewinnen konnten. Auch mehrere SV [Schülervertretungen] haben schon ihr Interesse bekundet. Das zeigt, wie gut wir da dran anknüpfen können. Dabei sehen wir vor allem auch unsere Aufgabe darin, nicht nur gegen die Wehrpflicht an sich aktiv zu werden, sondern das in die allgemeine Militarisierung einzuordnen. Auch in der Jugend wirkt diese Bedrohungslüge aus dem Osten, dass der Russe uns angreifen will. Wir haben wollen darüber aufklären, dass es eine Lüge ist, um Deutschland wieder kriegstüchtig zu machen für einen großen Krieg. Da gelingt uns jetzt in Münster bereits relativ viel. Dieses tun auch im Rahmen des in Münster vorhandenen Bündnisses „Nein zur Wehrpflicht“, womit wir viele Schulen erreichen und hoffen, dass wir die Bildungsproteste vom Sommer deutlich übertreffen werden. Also gehen wir es an! Wir werden am 5.12. nicht nur in Münster, sondern bundesweit streiken, weil wir die Wehrpflicht verhindern wollen.
Welche Rolle spielen Hochschulen?
Julian Eder: Mena, du bist an einer Hochschule aktiv. Welche Rolle spielen die Hochschulen in der ganzen Auseinandersetzung?
Mena (SDS): Die Auseinandersetzung um die Wehrpflicht ist vor allem ein Kampf um die Köpfe. Und daran entscheidet sich ja auch, ob es uns gelingt, dass die Gesellschaft friedensfähiger wird anstatt kriegstüchtig. Dazu ein Zitat aus der Verfassung der UNESCO von 1945:
„Da Kriege im Geiste der Menschen entstehen, muss auch der Friede im Geist der Menschen verankert werden. Die weite Verbreitung von Kultur und Erziehung zu Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden sind für die Würde des Menschen unerlässlich.“
Das ist es, was wir in den Hochschulen machen. Und ich meine, das ist es auch, wogegen sich die Wehrpflicht richtet, weil sie sich gegen die Persönlichkeitsentwicklung von jedem Einzelnen in diesem Sinne richtet und stattdessen ja bescheiden machen soll. Bei uns in Hamburg haben wir es mit Leuten zu tun, die am Friedensforschungsinstitut sind und die behaupten, die Friedenstätigkeit, die man jetzt gerade überhaupt nur noch machen könne, bestünde in der Wehrpflicht. Damit verbunden wird auch gesagt, dass der Frieden irgendwie nicht in Sicht sei, womit Alternativlosigkeit verbreitet wird.
Als Studierende sind wir in der Altersgruppe, die jetzt in die Wehrpflicht gehen soll und in einer sehr großen Mehrheit genau das nicht will. Interessant werden dann die damit verbundenen Diskussionen. Den ganzen Verteidigungsunsinn kann man auch in Diskussionen mit unseren Lehrenden als letztlich unwissenschaftlich gut auseinandernehmen.
Damit einhergehend haben wir in Hamburg die Umsetzung der SDG [Social Development Goals – UN-Aganda 2030] für die Uni entwickelt. Das heißt dann exemplarisch, beispielsweise in der Politikwissenschaft zu diskutieren, wie wir die UN in der Pädagogik stärken und dass die Bundeswehr in Schulen nichts zu suchen hat. Und auch Ingenieure können sinnvolle Städte bauen statt irgendein Kriegszeug. Auch streiten wir dafür, dass es Bafög für alle gibt, damit für alle ein Studium auch entsprechend finanziert ist.
Auch haben wir Kommilitonen aus aller Welt, also aus Pakistan, Indien, Peru, Sudan, Palästina. Und wir streiten auch dafür, dass genau diese Kommilitonen zu guten Bedingungen da sein können und bauen Kooperationen mit Hochschulen bis hin nach Palästina aus.
Unser Anspruch ist ein Leben ohne Militär, das wir selber produktiv gestalten können und dass jeder auf der Welt gut leben kann. Genau das sollten wir in den Hochschulen und auch darüber hinaus weiterentwickeln, dass wir uns diese Bedeutung gemeinsam beimessen.
Wie können und müssen sich Gewerkschaften einbringen?
Julian Eder: Till, warum müssen sich Gewerkschaften in den Kampf gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht einbringen? Und was? Was war eure Motivation, in Kiel als Gewerkschaftsjugend bei dem Bündnis „Nein zur Wehrpflicht“ mitzumachen?
Till (ver.di-Jugend): Für uns als Gewerkschaftsjugend in Kiel ist klar, dass die Wehrpflicht ein Angriff auf uns als Jugend insgesamt darstellt, der einem Angriff auf unserem Lohn oder unseren Arbeitsbedingungen in nichts nachsteht. Im Gegenteil, denn im Zweifelsfall bezahlen wir diesen Angriff nämlich mit unserem Leben als Jugendliche. Als Jugendliche haben wir die letzten Jahre genug unter den ständigen Angriffen der Arbeitgeberseite gelitten. Jugendliche hat die Inflation wesentlich härter getroffen.
Der Ausbildungsplatzmangel schafft für viele Jugendliche eine Perspektivlosigkeit, die jetzt von der Bundeswehr genutzt wird, um mit vermeintlich attraktiven Angeboten Jugendliche anzuwerben. Die Bundeswehr ist allerdings kein guter Arbeitgeber, sofern es einen solchen überhaupt gibt, sondern dort sind psychischer Missbrauch, Rassismus, Sexismus und verbale wie manchmal körperliche Gewalt an der Tagesordnung. Krieg ist eben nicht ein Job wie jeder andere. Einen Kollegen zu töten hat nichts mit unseren Interessen als Arbeiter zu tun, egal ob aus Russland oder China oder sonst woher kommt.
Gleichzeitig droht uns mit der Einführung der Wehrpflicht als Beschäftigten auch ein Angriff auf unsere Arbeitsbedingungen und unsere Arbeitsplätze. So können Wehrpflichtige nach dem Wehrpflichtmodernisierungsgesetz auch in ziviler Infrastruktur eingesetzt werden, sofern diese als kriegsrelevant gilt. So werden genau die Bereiche, wo schlechte Arbeitsbedingungen wie beispielsweise im Krankenhaus, miese Bezahlung wie bei der Post oder auch Stellenabbau verpasst, wie in der öffentlichen Verwaltung, mit billigen Arbeitskräften mutmaßlich ohne Streik und vernünftige Arbeitnehmerrechte aufgefüllt werden. Dadurch wird der Lohndruck für uns Normalbeschäftigte nochmal merklich angezogen.
Gleichzeitig sollen mit Gesinnungsbekenntnissen und Regelabfragen die Kollegen rausgeschmissen werden, die sich gegen diesen Kriegskurs stellen und das auch mit ihren Kolleginnen und Kollegen diskutieren. Was das mit gewerkschaftlicher Durchsetzungskraft macht, kann man sich wohl gut vorstellen. Streik für bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen? Pech gehabt. Maximilian ist 18, ist gerade mit seinem Abi fertig. Der macht euren Job. Und das Beste ist: Der Staat bezahlt auch noch seinen Lohn. Wir müssen nichts dafür machen. Gleichzeitig stecken wir Milliarden nicht in bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten, sondern darin, dass wir bombensichere Lazarette bauen, damit im Kriegsfall wenigstens noch die Krankenhäuser für die Soldaten funktionieren, aber eben dann nicht mehr für die zivile Bevölkerung.
Spätestens damit ist klar, dass wir als Gewerkschaft ein originäres Interesse daran haben, diese Wehrpflicht zu verhindern und uns an den Aktivitäten des Bündnisses „Nein zur Wehrpflicht!“ zu beteiligen. Wir sind dem Bündnis beigetreten, weil wir eben genau diesen Zusammenhang sehen und es für wichtig finden, dort aktiv zu werden.
Teil 2: Was ist zu tun?
Julian: Wir haben jetzt in der ersten Runde eine politische Einordnung gehört von der Wehrpflicht, die Zusammenhänge, wo die eigentlich herkommt und was damit bezweckt werden soll. Und wir haben Einblicke gekriegt in Schule, Uni und Betrieb – also die Orte, an denen sich die Jugend vor allem aufhält. Jetzt wollen wir noch mal konkret darüber diskutieren, was wir tun können, um diese Wehrpflicht zu verhindern. Und da geht die erste Frage wieder an die politischen Jugendverbände: Was müssen und können wir dafür tun? Welche Schritte geht ihr da? Und wir fangen wieder mit der SDAJ an!
Umfragen in Schulen und eindeutige Ergebnisse
Andrea (SDAJ): Julian hat einleitend schon gesagt, dass die Wehrpflicht schrittweise eingeführt werden soll. Einmal, um die Infrastruktur zu schaffen, aber ganz wesentlich auch, um den Widerstand dagegen gering zu halten. Weil es ja erst mal als nur freiwillig deklariert wird und dann ist die Bevölkerung schon dran gewöhnt. Und genau dem müssen wir einen Strich durch die Rechnung machen und bei jedem Schritt, der gegangen wird, immer größere Aktivitäten auf die Beine stellen und dagegen aktiv werden. Und die Chance dazu, das zu tun, das haben wir. Ich finde, das ist in der ersten Runde schon deutlich geworden.
Die Studienergebnisse wurden genannt. Wir machen als SDAJ an vielen Schulen gerade Umfragen zur Wehrpflicht – teilweise von außen, teilweise von innen über die Schülervertretung. Die Ergebnisse zeigen flächendeckend, dass sich weit mehr als 80 % gegen die Wehrpflicht aussprechen und da keinen Bock drauf haben. Wir haben gemeinsam mit anderen Jugendorganisationen Bündnisse gegen die Wehrpflicht gegründet, vielfach unter dem Titel „Nein zur Wehrpflicht!“ und haben auch ein bundesweites Bündnis, das dagegen aktiv wird. IN einer gemeinsamen Petition sammeln wir Unterschriften gegen die Wehrpflicht. Das ist auch was, was jeder von uns tun und damit die Aktivität gegen die Wehrpflicht unterstützen und verbreitern kann.
Wir sind auch beteiligt an der Organisation von Demonstrationen und Schulstreiks am 5.12., von denen wir eben schon gehört haben, und versuchen dabei eben auch den Schulterschluss zu der Gewerkschaftsjugend zu schaffen. Till hat eben aus Kiel berichtet, dass wir da z.B. gemeinsam deutlich machen: Jeder Euro, der in die Aufrüstung fließt, das ist ein Euro, der an anderer Stelle bei Sozialem, Gesundheit, Bildung usw. im öffentlichen Dienst fehlt. Wir machen dabei auch deutlich, dass damit der Lohndruck noch weiter erhöht wird, weil damit unsere Situation auch in diesen Bereichen noch verschlechtert wird.
Zu den Schulstreiks möchte ich noch ein kurzes Beispiel aus Friedberg [in Hessen] nennen. In Friedberg ist es von einem Schüler ausgehend gelungen, über die Schülervertretung eine Umfrage zu machen. Im Ergebnis haben sich dabei 84,6 % der Schülerinnen und Schüler gegen die Wehrpflicht ausgesprochen. Es ist dort gelungen, einen Schulstreik zu beschließen, obwohl es nur ein einzelner Schüler war, der das initiiert hat. Zudem wurde beim Tag der offenen Tür eine Lostrommel gemacht, ähnlich zu dem anvisierten Losverfahren, wer zum Bund kommen soll. Wer kommt denn zum Bund? Wer muss denn im Zweifelsfall in den Krieg ziehen?
Und die Schülervertretung versucht bereits, die Schule für bundeswehrfrei zu erklären. Wir als SDAJ sehen unsere Rolle darin, die Schülerinnen und Schüler in ihrer Selbstorganisation zu unterstützen, sie zu unterstützen, diese Schulstreiks zu organisieren und dort aktiv zu werden, wie zum Beispiel in Friedberg, Göttingen, Bielefeld, Münster und vielen anderen Städten. Das zeigt, dass das Thema ankommt, denn viele Jugendliche haben eben keinen Bock, sechs Monate ihres Lebens oder im Zweifelsfall ihr Leben zu geben. Und das ist eine Chance, die wir auch als Friedensbewegung nutzen müssen. Und ich halte auch die gemeinsame Aktivität wie z.B. bei den Schulstreiks für ganz zentral, weil ich da total viel lernen kann. Ich bin nicht alleine mit meiner Haltung zur Wehrpflicht, sondern 85 % meiner Schule sehen das genauso. Die sind auch alle dagegen. Ich kann lernen, ich muss das nicht hinnehmen. Ich kann mich dagegen wehren. Ich kann auf die Straße gehen, dagegen mit anderen gemeinsam. Ich kann dafür gegen Regeln verstoßen.
Denn was ist ein Schule schwänzen im Vergleich zu sechs Monaten Kriegsdienst oder im Zweifelsfall im Vergleich dazu im Sarg zu legen? Und da spüren wir unsere gemeinsame Kraft, wenn wir uns zusammentun. Frieden wird erkämpft. Frieden erreichen wir nicht, indem wir ein Kreuz auf dem Wahlzettel machen und für eine andere Regierung und für eine andere Regierung nur einsetzen, sondern es gibt eine einzige Kraft, die den Frieden erreichen kann. Es gibt eine Kraft, die sich gegen Wehrpflicht, Aufrüstung, Herrschende und ihre Kriegsvorbereitung erfolgreich wehren kann. Das ist die Mehrheit der Bevölkerung. Wenn wir uns dieser Kraft bewusst werden, wenn wir geschlossen handeln, dann können wir es schaffen, die Wehrpflicht zu verhindern, die Aufrüstung zu stoppen und für Frieden einzusetzen, für den Frieden zu erkämpfen und diese die Gesellschaft, die das alles hervorbringt, aus den Angeln zu heben. Und deshalb möchte ich uns alle hier aufrufen, am 5.12. auf die Straße zu gehen, die Schülerinnen und Schüler, die Jugendlichen zu unterstützen, das zum starken Aktionstag gegen die Wehrpflicht zu machen und eine breite Bewegung gegen die Wehrpflicht aufzubauen.
Militarisierung durch Wehrpflicht und Lehren aus der Geschichte
Julian: Tom, was sollten wir aus deiner Perspektive und aus der Perspektive der Linksjugend Solid jetzt machen, um diese Wehrpflicht zu verhindern?
Tom (Linksjugend Solid): Es lohnt sich, noch mal Tucholsky zu lesen. Deswegen jetzt ein Zitat zur Wehrpflicht 1924 von Kurt Tucholsky. Es bezieht sich auf das Kaiserreich, den Ersten Weltkrieg und die Wehrpflicht im Kaiserreich. „Die alte Wehrpflicht hat diesen infamen Krieg mitverschuldet. Der Kadavergehorsam des deutschen Militarismus ist ein Pestherd gewesen, eine bunte, verlogene Sache, nach außen eine schmutzige, rohe und völlig wertlose nach innen. Die Produkte dieser militärischen Erziehung waren schlechte Karikaturen der Lehrer. Und da die schon eine Karikatur waren, kann man sich vorstellen, wie das aussah, was da herauskam. Männer, die allen Ernstes glaubten, eine Meldung, eine Dienstvorschrift stehe über dem Leben und könne eine Welt meistern. Die Niederlage, die Unbeteiligte haben mit büßen müssen, hat ihnen gezeigt, was es damit auf sich hat. Die alte Wehrpflicht hat das gesamte kulturelle Leben in Deutschland verdorben. Und wenn heute die republikanischen Parteien den Mut nicht aufbringen, das zu sagen, so liegt das wohl daran, dass sie es in ihren großen Masse bis heute noch nicht begriffen haben.“
Das ist jetzt aus zwei Gründen relevant. Erstens sollte man verstehen, dass die Wehrpflicht eine Auseinandersetzung ist, die nicht nur die Jugend etwas angeht, sondern weil wir alle kriegstüchtig gemacht werden sollen. Das ist auch verbunden mit der Ideologie, dass man nur aus Gewissensgründen verweigern könne, also nicht aus politischer oder philosophisch begründeter Rationalität, sondern nur aus vermeintlich schwachen Gewissensgründen. Gegen diese Hegemonie müssen wir kämpfen. Um das noch mal historisch einzuordnen: Die Wehrpflicht gab es im Kaiserreich, es gab sie im Faschismus und es gab sie in der Bundesrepublik, als gegen die Konsequenzen aus der Befreiung vom Faschismus aufgerüstet werden sollte gegen die Sowjetunion.
Das ist auch der Kontext, in dem man begreifen muss, welche Bedeutung eine Wehrpflicht für die Militarisierung einer gesamten Gesellschaft hat. In Hamburg machen wir bereits Kundgebungen gegen die Wehrpflicht in einem Bündnis. Was geht von uns, der SDAJ bis zum Landesjugendring, wo z.B. auch die Pfadfinder vertreten sind. Das finde ich extrem gut. Es macht dabei besonders Spaß macht, dass wir als Teil dieses Protestes eben auch Theater und Satire gegen den militaristischen Ungeist spielerisch hervorbringen und zur Geltung bringen. Eben dafür, dass wir an die Stärke der Unterdrücker nicht mehr glauben, sondern uns unserer Macht bewusst werden.
Diskussionsthema von Kindern bis zu Großeltern
Julian: Wir geben die gleiche Frage nochmal an die Falken weiter.
Gretha (Die Falken): Ich würde mich dem auf jeden Fall anschließen. Ich glaube auch, dass es sinnvoll ist, noch mal den 5.12. als großen Aktionstag zu nehmen, wo sich dann die lokalen Proteste noch einmal zu vereinen und da auch eine große, kräftige Demo auf die Straße gebracht wird. Und gleichzeitig glaube ich, dass wir uns nicht daran aufhalten sollten, dass wir derzeit zum Teil sehr wenige sind, die sich bis jetzt politisch gefunden haben. Viele aus unserem Verband haben sehr positive Erfahrungen gemacht, einfach kleine Aktionen zu machen. Zum Beispiel in Frankfurt gab es eine Demo nur mit zwei Kindergruppen von uns und danach kamen super viele Passantinnen auf uns zu und wollten uns dabei unterstützen. Also ich glaube, man sollte sich nicht davon abhalten lassen, dass man eine kleine Organisation ist, sondern gerade auch die Zeit vor dem 5.12. noch mal nutzen, um das Thema auf die Straße zu bringen, auch mit den kleinsten Aktionen.
Wir wollen, dass es nicht nur die Jugendlichen beschäftigt, sondern eben auch die Eltern und Großeltern dieser Jugendlichen. Dass sie sich ernsthaft Sorgen machen und sich informieren für ihre Kinder. Und ich glaube, da sehe ich auch eine Verbindung zu der älteren Friedensbewegung, dass man diese Menschen auch unbedingt organisieren muss und dass sie auch einen Ort finden, wo sie für ihre Kinder, für den Frieden und gegen die Wehrpflicht streiten können. Gleichzeitig glaube ich, dass die Wehrpflicht auch nur ein Schritt hin zur Militarisierung der Jugend ist. Unabhängig davon, ob wir diesen Kampf um die Wehrpflicht jetzt am 5.12. gewinnen, können uns auch davor und danach gegen eine Militarisierung der Jugend einsetzen und zwar durch Friedenspädagogik und Bildung in allen Bereichen. Sie muss stärker in den Schulen stattfinden, aber auch in Jugendverbänden außerschulischer Bildung. Ich glaube, das ist ganz wichtig, zusätzlich zu einer reflektierten Geschlechterarbeit und allgemeiner freiheitlicher Erziehung, die damit Hand in Hand gehen muss.
Von der Kriegsdienstverweigerung zur antimilitaristischen Aufklärung
Julian:Judith, was sagst du? Was müssen wir gegen die Wehrpflicht tun? Und welche Schritte geht die DFG-VK?
Judith (DFG-VK): Ich finde auf jeden Fall auch, dass eine große bundesweite Demo eine sehr gute Idee ist. Auch um zu zeigen, wie viele wir eigentlich sind, die gegen die Wehrpflicht sind. In Frankfurt planen wir auch eine Demo abends am 4. Dezember. Dann kann man am nächsten Tag nach Berlin fahren. Und ich möchte noch auf eine andere Demo hinweisen. Und zwar gibt es jedes Jahr in Hessen unsere Aktion „Friedlicher Hessentag“. Kommendes Jahr ist der offizielle Hessentag in Fulda und auch da ist die Bundeswehr wieder [mit einer großflächigen Ausstellung] präsent. Für unser Bündnis suchen wir auch dafür noch Mitstreiter*Innen. Neben Demos macht die DFG-VK auch Lobbyarbeit, hauptsächlich mit der SPD und den Jusos. Wir haben irgendwie noch die Hoffnung, dass man manche vielleicht noch überzeugen kann, dass sie gegen diesen neuen Wehrdienst stimmen oder argumentieren.
Ansonsten hat auch einer von uns von in der DFG-VK, ein Jurist, zusammen mit Greenpeace ein Gutachten gegen diesen neuen Wehrdienst erstellt. Daraus geht hervor, dass dieser sogar verfassungswidrig ist und nicht verfassungskonform. Also kann man auch juristische Wege versuchen. Bei mehreren Ortsgruppen der DFG-VK versuchen wir, die Kriegsdienstverweigerung mit politischer Arbeit zu verbinden. Das heißt, dass man neben der Beratung auch Themenabende anbieten kann zur Militarisierung. Ich denke, das ist nicht nur sinnvoll für die jungen Menschen, sondern für alle Eltern und Großeltern. Beispielsweise um das bereits hier mehrfach angesprochene Feindbild zu entkräften.
In Hessen arbeiten wir gerade mit der GEW zusammen für einen Flyer für Schulen, vor allem für die Lehrkräfte zum Thema Militarisierung geht. Wir wollen Schulen anbieten, dass wir Unterrichtseinheiten durchführen können, vor allem auch als Gegengewicht zur Bundeswehr, indem wir dem eine eigene Sicherheitspolitik entgegensetzen.
Die vielen älteren Menschen in der DFG-VK fragen sich: Wie können wir die jungen Menschen erreichen? Da brauchen wir Hilfe [wie bei dem Workshop zu Social Media anschließend am zweiten Tag des Ratschlages]. Wir als DFG-VK wollen auch eigene Jugendgruppen aufbauen und fragen uns, wie wir das umsetzen. Was mir sehr wichtig ist, ist die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen, weil ich glaube, dass wir das nur zusammen schaffen können. Und es ist auch wichtig, über gewisse Unterschiede mal hinwegzusehen, wenn es darum geht, gegen diese Militarisierung anzugehen.
Schulstreik und zu erwartende Repression
Julian: Die nächste Frage geht wieder an Phil. Ihr wollt streiken, aber wo es Streiks gibt, da gibt es auch immer den Versuch, diese zu brechen und zu untergraben. Mit welchen Repressionen rechnet ihr bei den Schulstreiks und wie wollt ihr damit umgehen?
Phil (Schülertreff): Repression haben wir leider jetzt schon erfahren, z.B. bei einer E-Mail, die wir an die Schulen geschickt haben. Eine Schulleitung hat die Weiterleitung an die SV abgelehnt, weil das zu parteipolitisch wäre. Wir sehen auch, dass teilweise auch Lehrkräfte sich nicht so positiv gegenüber unserer antimilitaristischen Haltung äußern. Wir haben dabei auch Ängste bei Schülern erlebt, vor allem die Angst vor dem Streik. Was passiert da überhaupt? Was kann da passieren? Und dann vor allem auch die Angst vor Schulverweisen, die die Schulleitung ausstellen kann. Wir wollen dabei ansetzen, indem wir sagen: Diese Ängste sind sehr legitim. Aber man darf sich davon nicht abschrecken lassen, weil genau das das wäre, was die Herrschenden wollen Dass wir nicht streiken gehen, keinen Widerstand gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht zeigen. Wir sagen auch: Einen Tag streiken ist nichts im Vergleich zu sechs Monaten Wehrdienst in einer Armee, wo Sexismus und Rassismus alltäglich ist.
Vor allem durch die Verbreiterung unser Bündnisse sind wir auch umso mehr vor Repressionen geschützt. In Kassel <, desto weniger können Schulleitungen und auch Lehrkräfte und vielleicht auch Eltern, die sagen Ich will mein Kind nicht rauslassen, uns was antun, weil dann ein Schulverweis meistens keine Wirkung mehr hat. Also in Kassel hatten wir bereits mal den Fall, dass bei einem Schulstreik auch viele Schülerinnen einen Schulverweis bekommen haben, der aber letztlich nichts mehr gezählt hat, weil fast alle einen hatten. Und so etwas erhoffen wir uns natürlich auch, dass wir so breit aufgestellt sind, damit Repressionen nur noch abprallen und uns nicht mehr Angst einjagen. Vor allem von innen als Schulstreikkomitees.
Der Kampf um die Köpfe an Hochschulen
Julian: Mena, du hast vorhin gesagt, der Kampf gegen die Wehrpflicht ist ein Kampf gegen die Köpfe und um die Köpfe. Wie gelingt es da, diese Auseinandersetzung um die Hegemonie von der Hochschule aus zu führen? Was muss dafür entwickelt und diskutiert werden?
Mena (SDS): Ich würde als erstes dazu bekräftigen, dass wir gar nicht groß genug denken können, um diese Auseinandersetzung zu führen, da es eine gerade laufende gesellschaftliche Debatte ist. Es macht einen Unterschied, wie auch wir aus den Hochschulen darin eingreifen. Also wer dann als Experte irgendwo eingeladen wird. Und deswegen macht es einen großen Unterschied, was dann da gesagt wird, damit die Hochschulen tatsächlich engagiert für den Frieden eingreifen. Und ich bin sehr gespannt, wie wir mit unseren weiteren Aktivitäten die Auseinandersetzung auf eine nächste Stufe bringen. Dabei denke ich an eine marxistisch qualifizierte und humorvoll kämpferische Friedensbewegung, die in den Hochschulen verankert ist, aber eben auch überall sonst in der Gesellschaft. Dafür ist relevant, dass die Friedensbewegung gegen die ganzen Erzählungen, der Kapitalismus sei alternativlos und bleibe ewig, für wirklich bessere gesellschaftliche Verhältnisse streitet.
Überzeugungsarbeit bei Gewerkschaften und Belegschaften
Julian: Till, welche Rolle können die Gewerkschaften in den Bündnissen „Nein zur Wehrpflicht!“ spielen?
Till (ver.di-Jugend): Ich sehe unsere Aufgabe als Gewerkschaftsjugend in der Bewegung gegen die Wehrpflicht primär darin, eine Schnittstelle zu den Kämpfen der Arbeiter zu bilden und klar zu machen, dass der Kampf um Frieden und dabei besonders auch gegen die Wehrpflicht zu diesen Kämpfen dazugehören. Dabei tun sich die Gewerkschaften aktuell in der Fläche noch schwer, da sie sich aktuell in der Defensive befinden, wie heute bereits die Gewerkschafterin Ulrike gesagt hat. Die Kriegsvorbereitungen treffen die Belegschaften hart und wir als Gewerkschaft haben darauf bisher noch keine gemeinsame kämpferische Antwort. In Kiel war ver.di eine der wenigen bundesweit, die in den Tarifverhandlungen zum öffentlichen Dienst kämpferisch aufgetreten ist, eine hohe Dichte an Streiktagen hatte und die Kolleginnen und Kollegen sowohl in der Jugend als auch auf der Erwachsenenebene mit Erfolg gut eingebunden hat.
Wir haben als Jugend dabei nicht zurückgeschreckt, in unseren Reden zu betonen, dass die aktuellen Kürzungen eben aufgrund der Aufrüstung geschehen und dass ein konsequenter Kampf dagegen nur funktioniert, wenn wir ihn mit der Friedensbewegung gemeinsam führen. Das hat allerdings auch nicht immer jedem Gewerkschaftsmitglied und jedem Streikenden gefallen. Aber diese Auseinandersetzung müssen wir eben in den Gewerkschaften ausfechten und immer wieder neu diskutieren. Nur so überzeugen wir die Kolleginnen und Kollegen davon, dass der Kampf um Frieden auch ein Kampf um bessere Arbeitsbedingungen ist.
Teile der Gewerkschaften haben aber genau davor Angst, die aktuellen Arbeitskämpfe mit politischen Fragen zu verknüpfen. Sie fürchten eine öffentliche Diskreditierung, wie sie die Friedensbewegung seit dem Ukrainekrieg verschärft erfährt. Ich halte das für einen Fehler, da ein konsequenter Kampf gegen beispielsweise Kürzungen im öffentlichen Dienst nur geführt werden kann, wenn wir die Ursache der aktuellen Angriffe der Arbeitgeberseite klar benennen und darauf verweisen, dass das Ganze im Zusammenhang mit der Kriegstüchtigkeit und der gerade passierenden Militarisierung steht.
Nur so bieten wir unseren Kolleginnen und Kollegen kohärente Erklärungsmuster, um eben diese Angriffe einzuordnen und abzuwehren. Deswegen sind wir als ver.di Jugend im Bündnis „Nein zur Wehrpflicht!“ engagiert und versuchen dort vor allem auch eine betriebliche Perspektive mit einzubringen.
Das Ganze funktioniert natürlich auch in die andere Richtung, indem wir uns als Gewerkschafter und Arbeiter an der politischen Arbeit des Bündnisses beteiligen. Dadurch haben wir auch die Möglichkeit, unsere Arbeit als Gewerkschaft zu politisieren, indem wir zum Beispiel an Blockaden teilnehmen. Dadurch machen viele Azubis und Jungarbeiter erste Erfahrungen mit politischen Auseinandersetzungen und lernen auch über eine Tarifbewegung hinaus in Kämpfe zu zu gehen, auch wenn man ihn vielleicht nicht im ersten Schritt gewinnt. Aber das genau legt einen Grundstein sowohl für kämpferische Gewerkschaftsarbeit, als auch für die Zusammenführung von Gewerkschafts- und Friedensbewegung, was ja unser großes Ziel ist.
Und dazu finde ich wirklich gut, was Ulrike heute im Workshop gesagt hat. Denn nicht nur die Gewerkschaften, nicht nur die Gewerkschaftsbewegung und die Friedensbewegung müssen zusammengeführt werden. Auch die Bewegung, auch die aktuell anstehenden Streiks der Schüler müssen von uns Gewerkschaftern verknüpft werden. Wir müssen auf die Schulen zugehen und die Schülerinnen und Schüler als Gewerkschafter in ihrem Kampf dagegen unterstützen. In einem großen Krieg verheizt zu werden, dafür müssen wir uns engagieren und nur so können wir diese Wehrpflicht auch tatsächlich verhindern. Wir sind, jeder alleine genommen, nicht stark und durchsetzungsfähig genug. Wir werden es nicht schaffen, dass jeder durch Kriegsdienstberatung dieser Wehrpflicht entgleiten kann. Aber wenn wir es schaffen, gemeinsam zu stehen und uns gemeinsam gegen diese Wehrpflicht zur Wehr zu setzen, sind wir Millionen Mal stärker als alles, was uns diese Regierung gerade entgegensetzen kann. Denn wenn wir uns zusammentun und organisieren, dann haben wir das politische Potenzial, die Wehrpflicht zu verhindern. Das ist die Lehre aus über 100 Jahren Gewerkschaftsbewegung, aus einer langen friedenspolitischen Tradition. Und genau das ist es, was wir jetzt fortführen müssen, um diese Wehrpflicht und damit vielleicht auch den nächsten großen Krieg, der jetzt vor der Tür steht, zu verhindern.
Julian: Ihr seht, die Jugend kämpft und wir haben Power. Und es wurde gesagt, wir brauchen noch mehr junge Leute, die sich der Militarisierung entgegenstellen und mit uns kämpfen. Aber wir brauchen auch die alten Eisen. Wir brauchen auch eure Erfahrung. Wir brauchen die Erfahrung aus jahrzehntelangem Kampf. Es ist ein gemeinsamer Kampf, vor dem wir stehen. Und wir werden und müssen der Militarisierung überall entgegentreten, wo sie uns entgegenkommt. Schließen möchte ich diese Runde mit einem Zitat. Wir hatten ja schon ein paar, diesmal von Antonio Gramsci: „Bildet euch! Denn wir brauchen alle eure Klugheit. Bewegt euch, denn wir brauchen eure ganze Begeisterung. Organisiert euch! Denn wir brauchen eure ganze Kraft.“ Und damit raus zum 5.12. zum Aktionstag gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Und lasst uns weiter darüber diskutieren, wie wir die Wehrpflicht und wie wir diesen Krieg, den sie gerade planen, stoppen können.
