Friedenspolitische Wortmeldung bei ver.di-Kongress
Christof Ostheimer, Delegierter 01/00315, aus dem ver.di Landesbezirk Nord
18.9.2023
Wortmeldung unter TOP 4 Aussprache zu TOP 3 Geschäftsbericht
Eigentlich hätte ich meine Worte direkt an unseren Kanzler gerichtet, aber da die Auseinandersetzung mit der Regierungspolitik Teil des gemeinsamen Geschäftsberichts (von BV und GR) ist, passt das genau hierher.
Als Friedensaktivist mit der blauen Friedensfahne bin ich auch so ein „gefallener Engel aus der Hölle“, wie Olaf Scholz vor kurzem bei einem öffentlichen Auftritt uns Friedensbewegte titulierte, die dort mit Friedensfahnen und Schildern „Diplomatie statt Waffenlieferungen“ forderten. Pfui Teufel, könnte ich da im gleichen Jargon antworten, tue das aber nicht.
Seit Beginn des Ukrainekrieges steigen die Aktienkurse, die DAX-Konzerne konnten 170 Mrd. € Gewinn verbuchen. Fallen tun hingegen die Menschen, meist junge Männer, und das zu Hunderttausenden. Sinken tun auch die Reallöhne (um 4%), trotz massiver Streiks der Beschäftigten, geführt von ihren Gewerkschaften wie unserer ver.di.
Der Kanzler hat die geplanten unsozialen Grausamkeiten nicht auf den Tisch gelegt. Kein Wort dazu, dass Sozialabbau und Reallohnverlust nur die Kehrseite der höchsten deutschen Militärausgaben seit 1945 sind. Nach Nato-Kriterien werden dies 85,5 Milliarden Euro sein. Im Haushaltsansatz der Bundesregierung springen dagegen Kürzungsposten ins Auge wie: Minus 93% bei Müttergenesungswerk und Familienferienstätten, Minus 77 % für Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätten, (die Freie Jugendhilfe muss mit 19% weniger auskommen, bei Wohngeld sind es minus 16%, und bei Bafög minus 24%).
Mit Grauen blicke ich auf das Sterben dort im Krieg, aber auch hier in unserem Land. Wir erleben nämlich eine dramatische Situation der Kliniken. Es droht ein Kahlschlag bei der Gesundheitsversorgung und die Schließung vieler Krankenhäuser, ohne dass von der Bundesregierung ernsthaft gegengesteuert wird. Nicht nur unsere Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitswesen sondern das Gesundheitssystem selbst wird kaputt gemacht (von den anderen Infrastrukturbereichen, den Schulen, den Brücken, den Bahnstrecken usw. will ich aus Zeitgründen gar nicht sprechen). Die neoliberale Wirtschaftspolitik nimmt offensichtlich den Tod von Millionen Menschen in Kauf, die sich eben keine Operation an einer Privatklinik im Ausland leisten können. Eine Perspektive, die mich an die aktuelle Situation in Großbritannien erinnert, wo derzeit 7,6 Millionen Menschen auf Wartelisten für Routineoperationen stehen.
Verantwortlich hierfür ist diese Bundesregierung mit ihrem (– von Sarah Wagenknecht im Bundestag so genannten –) „Wirtschaftskrieg“ gegen Russland. Dass dieser Wirtschaftskrieg (die berühmten Sanktionen) Deutschland (und damit der deutschen Bevölkerung) mehr schadet als Russland, pfeifen inzwischen die Spatzen von allen wirtschaftspolitischen Dächern. Es ist ja nicht nur die Inflation infolge der nicht mehr aus Russland importierten preiswerten fossilen Energieträger Gas und Öl. Wir haben inzwischen ein sinkendes (!) Bruttoinlandsprodukt, ganze Industriezweige wandern in die USA oder sonst wohin ab. Die lange geleugnete Deindustrialisierung Deutschlands findet tatsächlich statt. Für diesen beispiellosen Niedergang trägt diese Bundesregierung die Verantwortung. (Nicht dass ich meinen würde, die Oppositionsparteien CDU/CSU oder gar die AfD würden es besser gemacht haben, auch nicht von „der Linken“, die sich leider mehrheitlich von ihren ehemaligen WählerInnen und deren Interessen entfernt hat und dafür gerade die Quittung erhält.)
Es bleibt die Aufgabe der Gewerkschaften, es bleibt unsere ureigenste Aufgabe, das Einkommen und die Lebensbedingungen der arbeitenden Menschen zu sichern, die Kindergrundsicherung für die Familien, die es wirklich brauchen, durchzusetzen und eine auskömmliche Rente in der Zukunft zu gewährleisten. Dazu muss aber eine echte Opposition in den Betrieben und auf der Straße gegen die neoliberale Wirtschaftspolitik und insbesondere gegen die Hochrüstungs- und Kriegspolitik organisiert werden. Die unübersehbare Kriegsbeteiligung Deutschlands (man denke nur an die jährlich fünf Milliarden „Ertüchtigungshilfe“, die bis 2027 an die Ukraine geleistet werden soll) muss beendet werden. Frank Bsirske brachte es vor vier Jahren bei seinem Geschäftsbericht auf den Punkt, als er (in Leipzig zum wiederholten Male) den historischen Spruch „Kanonen statt Butter“ in sein Gegenteil verkehrte und forderte: „Butter statt Kanonen!“ In meinem damaligen Diskussionsbeitrag konnte ich den Vorsitzenden unserer Gewerkschaft dafür loben. Wie gerne hätte ich das heute, hier in Berlin auch getan.
Auf dem 5. Bundeskongress in Leipzig stand die Unterstützung der vielen Menschen, die vor Krieg, Hunger und Umweltzerstörung in ihren Heimatländern zu uns nach Europa flüchten, ganz im Vordergrund. (Ich erinnere mich gerne an die Aktionen im Plenum während der Rede des Bundespräsidenten und die große Spendensammlung zugunsten der Flüchtlingsarbeit.) Wegen 35.000 gefährdeter Plätze bei den Freiwilligendiensten steht heute jede dritte Migrationsberatungsstelle vor dem Aus, kritisiert die AWO (der AWO-Präsident Michael Groß). Damit hat die AFD kein Problem. Sie steht für Pushbacks und noch härtere Frontex-Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Auch mit der Hochrüstung Deutschlands ist die AfD sehr einverstanden; nur scheinbar setzt sie sich für Frieden ein. Sie wünscht sich ein militärisch starkes Deutschland, das eine Führungsrolle in der Welt einnehmen soll. Genau das wollen wir, die friedensbewegten ver.di-Kolleginnen und Kollegen, nicht.
Deshalb hat auf diesem Kongress unser ver.di-Friedensnetz mit dem Zentralen Arbeitskreis gegen Rassismus und Rechtsextremismus einen gemeinsamen Infostand, an den wir Euch, die Delegierten, herzlich zu Gesprächen mit uns und VertreterInnen der Friedensbewegung einladen.